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Newsletter 4/2022 vom 16. März 2022

Rechtsprechung des
Niedersächsischen
Finanzgerichts

Zum Begriff der Erstausbildung im Sinne des § 9 Abs. 6 EStG bei einem 20-monatigem Praktikum und einer späteren Ausbildung zum Berufspiloten

Der 2. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat in seinem Urteil vom 26. März 2021 (2 K 130/20) entschieden, dass Aufwendungen für die Verkehrspilotenausbildung zu den beschränkt abzugsfähigen Berufsausbildungskosten des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG zählen. Auch wenn der Kläger bereits seit mehreren Jahren in der Veranstaltungs- und Showtechnik gewerblich tätig war, handele es sich um eine Erstausbildung, sodass die dafür entstandenen Aufwendungen dem Werbungskostenabzugsverbot nach § 9 Abs. 6 EStG unterliegen.

In dem vom 2. Senat zu entscheidenden Sachverhalt war der Kläger bereits seit mehreren Jahren gewerblich in der Veranstaltungsbranche u.a. als DJ und Verleiher professioneller Licht- und Tontechnik tätig. Dieser Tätigkeit lag ein 20-monatiges Praktikum zugrunde, welches der Kläger bei einem Unternehmen der Veranstaltungstechnik absolviert hatte. Zum damaligen Zeitpunkt war die Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gerade erst staatlich anerkannt worden. Die entsprechende Ausbildung durchlief der Kläger nicht. Vielmehr war er nach seinem Praktikum gewerblich in diesem Bereich tätig. Die dabei erzielten Einnahmen dienten dem Kläger zur Finanzierung seiner Ausbildung zum Berufspiloten. Dazu erwarb er zunächst in 2005 die Privatpilotenlizenz für einmotorige Flugzeuge nach Sichtflugregeln; in 2011 dann die Nachtflugberechtigung, in 2017 die Instrumentenflugberechtigung für ein- und mehrmotorige Flugzeuge (Berufspilotenlizenz) und 2018 schließlich die Musterberechtigung für den Airbus A 320. Die dafür in den Streitjahren 2016 und 2017 entstandenen Aufwendungen machte der Kläger – wie bereits in den Vorjahren – bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als vorweggenommene Werbungskosten geltend.

Das beklagte Finanzamt lehnte dies ab und gewährte nur den für Berufsausbildungskosten auf 6.000 € jährlich begrenzten Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Nach Auffassung des Finanzamts handele es sich bei der Berufspilotenausbildung um eine Erstausbildung. Für diese sei der Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 6 EStG ausgeschlossen.

Der 2. Senat bestätigte die Auffassung des Finanzamts.

Entscheidend sei, dass das der Berufspilotenausbildung vorangegangene 20-monatige Praktikum des Klägers nicht die Voraussetzungen einer Erstausbildung erfülle, sodass die Berufspilotenausbildung des Klägers seine Erstausbildung darstelle. Die Voraussetzungen für eine Erstausbildung habe der Gesetzgeber in der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Fassung nunmehr explizit geregelt. So fehle es dem Praktikum insbesondere an einem geordneten Ausbildungsgang. Die Durchführung dieses Berufspraktikums sei gerade nicht auf der Grundlage von Rechts- bzw. Verwaltungsvorschriften oder internen Vorschriften eines Bildungsträgers erfolgt. Ausdrückliches Ziel des Praktikums sei es nicht gewesen, die für eine qualifizierte berufliche Tätigkeit notwendigen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Vielmehr seien die Ausbildungsziele nicht klar definiert, ein feststehender Lehrplan habe nicht existiert. Zudem entspreche das lediglich 20 Monate dauernde Praktikum in keiner Weise einer dreijährigen Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann. Auch wenn der Kläger seinerzeit noch keine Möglichkeit des Durchlaufens der geregelten Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gehabt habe, da diese Ausbildung seinerzeit erst staatlich anerkannt worden sei, erfülle das Praktikum nicht die Voraussetzungen einer Erstausbildung. Dies wäre allenfalls möglich gewesen, wenn der Kl. zu einem späteren Zeitpunkt die Abschlussprüfung zum Veranstaltungskaufmann bestanden hätte. In diesem Fall wäre auch, ohne dass er zuvor die entsprechende Berufsausbildung durchlaufen hätte, eine abgeschlossene Erstausbildung anzunehmen gewesen, vgl. § 9 Abs. 6 S. 5 EStG. Eine solche Abschlussprüfung habe der Kläger jedoch nicht abgelegt. Der 2. Senat lehnte auch die Einordnung der Aufwendungen für die Berufspilotenausbildung als Umschulungskosten, welche nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig wären, ab. Es widerspreche dem gesetzgeberischen Ziel der Begrenzung des Werbungskostenabzugs, über eine abweichende Wertung als „Umschulung“ zu dem Ergebnis zu kommen, für diese Fälle eine erstmalige Berufsausbildung und damit den Ausschluss vom Werbungskostenabzug über die allgemeine Regelung des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG auszuhebeln.

Ferner gebe es keinen sachgerechten Grund, warum die Erstausbildung nach einer längeren Tätigkeit als Taxifahrer oder Skilehrer vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen wird – so die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/3017, S. 43), andererseits die mehrjährige Tätigkeit als DJ/Musiker einen solchen Ausschluss vom Werbungskostenabzug verhindern könnte.

Das Niedersächsische Finanzgericht wendet damit die gesetzlich geregelten Voraussetzungen einer Erstausbildung im Sinne des § 9 Abs. 6 EStG an und berücksichtigte dabei auch hinsichtlich der Frage der Einordnung als Umschulungskosten die gesetzgeberische Intention.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Bundesfinanzhof die Revision zugelassen (IV R 22/21).

Weitere Entscheidungen des
Niedersächsischen
Finanzgerichts

Az. 5 K 62/19 – Urteil vom 11.11.2021
Zum Umfang der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG in der Fassung bis zum 31. Dezember 2019

Geschäftsführungsleistungen eines Gesellschafters an eine Praxisgemeinschaft sind nicht ohne weiteres Leistungen der Praxisgemeinschaft an ihre Gesellschafter.

Leistungen im Rahmen der Praxisorganisation und der Erstellung von Arztberichten, Reinigungsleistungen sowie die Durchführung von Kursen zur Schmerzbewältigung und Muskelentspannungkönnen nach § 4 Nr. 14 Buchts. d UStG a.F. steuerbefreit sein.

Buchführungs- und Abrechnungsleistungen der Praxisgemeinschaft an die Gesellschafter sind nicht nach § 4 Nr. 14 Buchts. d UStG a.F. steuerbefreit.

Revision eingelegt BFH-Az.: XI R 37/21

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Az. 6 K 87/19 – Urteil vom 14.12.2021
Periodenübergreifende Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer

1. Ausländische Steuern können nicht nach § 26 Abs. 2 bis 6 KStG a.F. periodenübergreifend auf die deutsche Körperschaftsteuer angerechnet werden, wenn es an einer gesondertenFeststellung der Anrechnungsüberhänge im jeweiligen Veranlagungszeitraum fehlt. Ein solcher Anrechnungsanspruch kann auch weder aus dem DBA noch aus dem Unionsrecht abgeleitet werden.

2. Eine unionsrechtliche Durchbrechung des sich aus dem nationalen Verfahrensrecht ergebenden Grundsatzes der gesonderten Feststellung von Anrechnungsüberhängen ist nichtgeboten.

3. Angefallene ausländische Körperschaftsteuer (hier: griechische) kann in entsprechender Anwendung der § 26 KStG a.F. i.V.m. § 34c EStG a.F. i.V.m. § 10d EStG a.F. auf die inländische Körperschaftsteuer folgender Veranlagungszeiträume angerechnet werden.

4. Die gegenüber Auslandsdividenden fehlende steuerrechtliche Entlastung bei wirtschaftlicher Doppelbesteuerung - hier für Inlandsdividenden durch Steuergutschrift nach § 49 Abs. 1 KStG a.F. i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. erfolgend - verstößt gegen Art. 49 AEUV (ex Art. 43 EGV).

Revision eingelegt – BFH Az.: I R 6/22

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Az. 6 K 10176/18 – Urteil vom 15.06.2021
Wartungsgebühren beim Leasing

Die im Rahmen von Leasingverträgen aufgewendeten Wartungsgebühren sind gem. § 8 Nr. 1 d GewStG dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen.

Revision eingelegt BFH-Az.: III R 33/21

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Az. 14 K 239/18 – Urteil vom 27.10.2021
Erstattung von Parkgebühren an Arbeitnehmer

1. Die Erstattung von Parkgebühren an Arbeitnehmer führt bei diesen zu Arbeitslohn, wenn die Kosten bereits mit der gesetzlichen Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 S. 2 EStG) abgegolten sind. Auch wenn die Erstattung von Parkkosten bei fehlenden kostenlosen Parkmöglichkeiten ein pünktliches Erscheinen der Beschäftigten am Arbeitsplatz und damit einen reibungslosen Betriebsablauf begünstigen, so erfolgt die Übernahme der Parkkosten dennoch nicht im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers, sondern immer auch im Interesse der Arbeitnehmer, die diese Kosten anderenfalls zu tragen hätten.

2. Ist eine dem Arbeitgeber erteilte Auskunft seines Steuerberaters geeignet, Zweifel an der allgemeinen Geltung der von ihm zu einem steuerlichen Sachverhalt vertretenen Auffassung zu begründen, so ist das Absehen von der Einholung einerAnrufungsauskunft nach § 42e EStG im Rahmen der Haftung als grob schuldhaft zubeurteilen.

3. Sind von dem streitigen Sachverhalt jährlich mehrere hundert Beschäftigte des Arbeitgebers betroffen,die zudem steuerlich bei unterschiedlichen Wohnsitzfinanzämtern geführt werden, so liegt die Entscheidung der Finanzbehörde, anstelle der Arbeitnehmer allein den Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen, auch unter Berücksichtigung der fortschreitenden Automatisierung des Besteuerungsverfahrens im Rahmen des der Behörde bei der Auswahl des Schuldners zustehenden Ermessenspielraums.

4. Zur Auslegung einer Klage gegen einen Haftungsbescheid, der die Haftung für Kirchensteuer mitumfasst.

rechtskräftig

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Az. 14 K 268/18 – Urteil vom 15.12.2021
Zur Berechnung des Grundlohns bei Bereitschaftsdiensten

1. Ist ein Bereitschaftsdienst am Arbeitsplatz abzuleisten, ist die gesamte Dauer des abgeleisteten Bereitschaftsdienstes als „tatsächlich geleistete Arbeit“ im Sinne des § 3b Abs. 1 EStG zu werten, selbst wenn die Bereitschaftsdienstzeit aufgrund von zwischen den Vertragsparteien getroffenen Regelungen nichtvollumfänglich als Arbeitszeit bewertet wird.

2. Der Grundlohn nach § 3bAbs. 2 S. 1 EStG bemisst sich in diesem Fall nach dem regulären, vertraglich vereinbarten - auf eine Stunde umgerechneten - Arbeitslohn und nicht nach dem geringeren Stundenlohn, der sich aus der Umrechnung des regulären Stundenlohnsauf die tatsächlich als Arbeitszeit vergütete Bereitschaftsdienstzeit ergibt.

Revision eingelegt – BFH Az.: VI R 1/22

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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie auf dem abrufen.

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Gut zu wissen

Ausbildungskosten: Werbungskosten oder Sonderausgaben?

Nach der gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen als Werbungskosten abzugsfähig. Dazu gehören unter bestimmten Voraussetzungen auch Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung. Dies gilt selbst dann, wenn die Einnahmen erst in einem späteren Jahr anfallen. Voraussetzung ist dabei, dass ein hinreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, bei der der Abzug begehrt wird.

In einem solchen Fall handelt es sich um sogenannte vorweggenommene Werbungskosten. Auch wenn in dem Jahr, in dem die Kosten angefallen sind - mangels Einnahmen - die festgesetzte Einkommensteuer häufig Null Euro beträgt, kann die Geltendmachung vorweggenommener Werbungskosten steuerlich interessant sein. Denn durch die Geltendmachung vorweggenommener Werbungskosten entstehen negative Einkünfte, die im Rahmen des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 2 EStG in Folgenjahren berücksichtigt werden. Damit besteht die Möglichkeit, dass die vorweggenommenen Werbungskosten die mit ihnen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Einnahmen in einem späteren Jahr mindern.

Bei Kosten für die eigene Berufsausbildung ist jedoch zu beachten, dass der Gesetzgeber die Ausgaben nur zum Werbungskostenabzug zulässt, wenn der Steuerpflichtige zuvor bereits eine Erstausbildung abgeschlossen hat oder die Berufsausbildung im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet (§ 9 Abs. 6 EStG). Nicht jede "Erstausbildung" ist ausreichend, sondern der Gesetzgeber hat zusätzlich bestimmte Anforderungen an die Ausbildung geregelt. Hervorzuheben ist dabei insbesondere eine Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und eine Abschlussprüfung. Damit will der Gesetzgeber in der Vergangenheit von der Rechtsprechung zugelassene Gestaltungen vermeiden, in denen nach weniger als 12-monatiger Ausbildung z.B. als Skilehrer oder Taxifahrer die Kosten der (eigentlichen) Berufsausbildung als vorweggenommene Werbungskosten anerkannt wurden.

Auch wenn die dargestellten Voraussetzungen für einen Abzug als Werbungskosten nicht erfüllt sind, z.B. weil eine Abschlussprüfung fehlt oder die Ausbildung nur in Teilzeit durchgeführt wird, können Kosten für die eigene Berufsausbildung steuerlich geltend gemacht werden. In solchen Fällen kommt ein Abzug als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Betracht. Betragsmäßig ist der Sonderausgabenabzug jedoch auf 6.000 Euro begrenzt.

Neues aus dem
Niedersächsischen
Finanzgerichts


Neuer Richter am Niedersächsischen Finanzgericht

  Bildrechte: Nds. FG
Ri Karsten Schmidt

Zum 1. März 2021 hat Herr Karsten Schmidt seinen Dienst als Richter auf Probe am Niedersächsischen Finanzgericht angetreten. Herr Schmidt absolvierte nach seinem Abitur ein duales Studium zum Diplom-Finanzwirt im Finanzamt Nienburg/Weser und an der Steuerakademie Niedersachsen. Im Anschluss daran studierte er Jura an der Universität Osnabrück mit dem Schwerpunkt Steuerrecht und arbeitete parallel in Teilzeit in der Grundbesitzstelle des Finanzamts Osnabrück-Land.

Das juristische Referendariat im Bezirk des Oberlandesgericht Oldenburg durchlief er u.a. mit Stationen im Hauptzollamt Osnabrück, in der Osnabrücker Niederlassung einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und im Finanzgericht Münster. Nach dem Erreichen seines Zweiten Juristischen Staatsexamens war Karsten Schmidt zunächst als angestellter Rechtsanwalt im Bereich Steuer- und Gesellschaftsrecht einer mittelständischen Rechtsanwaltskanzlei in Osnabrück tätig, bevor er in das Niedersächsische Finanzgerichts wechselte

Herr Schmidt ist dem 3. Senat zugewiesen, der u.a eine Sonderzuständigkeit für die Erbschaft- und Schenkungsteuer hat.

Drei Jugendliche mit Basketball. Geimpft sind wir stärker!   Bildrechte: ms

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Artikel-Informationen

erstellt am:
16.03.2022

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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