Artikel-Informationen
erstellt am:
18.06.2025
Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels
9 K 155/22 - Urteil vom 16. April 2025
Lohnsteuerhaftung: Keine Verpflichtung des Betriebsstätten-Finanzamts zur sog. Schattenveranlagung bei fehlerhafter Einbehaltung der Lohnsteuer für beschränkt Steuerpflichtige
Der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat mit Urteil vom 16.4.2025 (9 K 155/22) entschieden, dass der Haftungstatbestand mit dem Entstehen der Einkommensteuer mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 EStG) weiterhin an den Lohnsteueranspruch und nicht an den bereits entstandenen Einkommensteueranspruch anknüpft mit der Folge, dass damit die vorläufig entstandene Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers Grundlage der Haftung bleibt, und nicht dessen Einkommensteuerschuld.
Im Streitfall hatte die Klägerin, eine GmbH, für zwei ihrer beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer (Ehepaar aus den Niederlanden) die Lohnsteuer fehlerhaft nach Lohnsteuerklasse I anstatt nach Lohnsteuerklasse VI einbehalten und an das beklagte Finanzamt abgeführt. Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung erließ der Beklagte (Betriebsstätten-Finanzamt) einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnsteuerabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2016 bis Dezember 2019. Im Einspruchs- und Klageverfahren begehrte die Klägerin die Aufhebung dieses Haftungsbescheides u. a. mit der Begründung, dass die tatsächliche Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer niedriger sei und eine Haftung aufgrund der Akzessorietät und des Fehlens eines Strafcharakters auszuscheiden habe. Zur Begründung legte die Klägerin die Einkommensteuerbescheide 2016 und 2019 sowie die Einkommensteuererklärungen 2017 und 2018 für die Arbeitnehmerin vor. Für den Arbeitnehmer fügte die Klägerin lediglich Berechnungen über die sich ergebende Einkommensteuerschuld sowie niederländische Steuerbescheide zum Nachweis der niederländischen Einkünfte bei. Das Finanzamt reduzierte daraufhin die Haftungsbeträge lediglich bezüglich der Arbeitnehmerin für 2016 und 2019, da sich aus den Einkommensteuerbescheiden eine gegenüber den Lohnsteuerbeträgen geringere Einkommensteuerschuld ergab. Im Übrigen lehnte das Finanzamt eine weitere Reduzierung der Haftungsbeträge ab. Wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung seien keine Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 erlassen worden. Das Betriebsstätten-Finanzamt sei nicht verpflichtet, insoweit sog. Schattenveranlagungen aufgrund von Einkommensteuererklärungen oder - wie im Falle des anderen Arbeitnehmers – vorgelegten Steuerberechnungen durchzuführen.
Der 9. Senat folgte im Ergebnis dieser Auffassung und wies die Klage als unbegründet ab. Der Wortlaut des § 38a Abs. 1 Satz 1 EStG („Jahreslohnsteuer“) und § 42d Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG sprächen dafür, dass sich die Haftung nach Ablauf des Kalenderjahres auf diese Jahreslohnsteuer beziehe und nicht auf eine zu diesem Zeitpunkt entstehende Einkommensteuer des Arbeitnehmers. Auch steuersystematisch sei diese Auslegung geboten. § 42d EStG sei Teil der Steuererhebungsvorschriften. Das EStG trenne streng nach Lohnsteuerabzugsverfahren und Veranlagungsverfahren (§ 46 EStG). Das Lohnsteuerabzugsverfahren beschränke sich auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und habe keine Bindungswirkung für ein späteres Veranlagungsverfahren. Aus den gleichen Gründen ist nach Auffassung des NFG auch nicht von Belang, ob eine abgegebene Einkommensteuererklärung wie im Streitfall infolge Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht in einen Einkommensteuerbescheid mündet oder sich aufgrund von vorgelegten Berechnungen ggf. eine geringere Einkommensteuerschuld ergibt. Alles andere würde aus Sicht des Gerichts dazu führen, dass das Betriebsstätten-Finanzamt des Arbeitgebers in solchen Fällen sog. Schattenveranlagungen durchführen und die Aufgaben des Veranlagungsfinanzamts übernehmen müsste. Eine derartige Vermischung von Lohnsteuerabzugs- und Veranlagungsverfahren sei aber steuersystematisch verfehlt und verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn die Haftung für die Jahreslohnsteuer – ohne Betrachtung der tatsächlichen Einkommensteuerschuld – stelle keine Strafsteuer dar. Eine solche Haftung entspreche vielmehr den gesetzlichen Vorschriften.
Der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
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11 K 181/21 - Urteil vom 24. August 2023
Verfahrenstrennung - eidesstattliche Versicherung eines Rechtsanwalts - Schlussfolgerungen aus Widersprüchen und Unstimmigkeiten bei Schilderung des allgemeinen Geschehensablaufs - Verzicht auf Beweiserhebung unter dem Gesichtspunkt der Wahrunterstellung
1. Eine nach Rückverweisung des Verfahrens durch den BFH im Wege der Klageänderung eingeführte Klage ist bei sachlicher Unzuständigkeit für diese Streitsache nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts durch Abtrennung an den zuständigen Senat zu verweisen.
2. Die Behauptung einen fristwahrenden Schriftsatz selbst in den Hausbriefkasten der Finanzbehörde eingeworfen zu haben, kann nicht allein durch eine eidesstattliche Versicherung eines beruflich als Rechtsanwalt tätigen Klägers nachgewiesen werden.
3. Widersprüche und Unstimmigkeiten in der Schilderung des allgemeinen Geschehensablaufs können auch die Überzeugungskraft der Angaben in Bezug auf die streitrelevante Frage des rechtzeitigen Zugangs eines Schreibens durch Einwurf in den Hausbriefkasten der Finanzbehörde mindern.
4. Das Gericht kann von einer beantragten Beweiserhebung absehen, wenn es die Behauptung für die Beweis angeboten wurde, als wahr unterstellt.
Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen; Az. des BFH: V B 57/23
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5 K 100/23 - Urteil vom 13. Mai 2025
Zum Wiederaufleben der Steuerschuld nach Insolvenzanfechtung gemäß § 144 InsO
Zahlt die Organgesellschaft am Fälligkeitstag die vom Organträger vorangemeldete Umsatzsteuer unter Angabe der Steuernummer des Organträgers durch Banküberweisung, kann darin eine Tilgungsbestimmung liegen, nach der die Zahlung auf die Steuerschuld des Organträgers erfolgt. In diesem Fall liegt keine nach § 144 Abs. 1 i.V.m. § 131 Abs. 1 InsO durch den späteren Insolvenzverwalter der Organgesellschaft anfechtbare Leistung der Organgesellschaft an einen Insolvenzgläubiger vor. Die Umsatzsteuerschuld lebt gegenüber dem Organträger in diesem Fall auch dann nicht wieder auf, wenn das Finanzbehörde sich mit dem Insolvenzverwalter zur Vermeidung eines Anfechtungsrechtsstreits auf eine freiwillige Teilerstattung einigt.
Revision zugelassen
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3 K 80/24 - Urteil vom 14. Mai 2025
Steuerbefreiung für Familienheim - unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung bei testamentarisch einem Dritten eingeräumtem Wohnrecht
1. Ein testamentarisch einem Dritten zugesprochenes Wohnrecht an einem bebauten Grundstück zur ausschließlichen Nutzung steht einem rechtlichen Einzugshindernis gleich.
2. Ist ein Wohnrecht testamentarisch zu Gunsten eines Dritten bestellt, so ist der Erwerber des bebauten Grundstücks rechtlich an dessen unverzüglicher Bestimmung zur Selbstnutzung i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG gehindert. Er kann so lange nicht über das mit dem Wohnrecht belastete Grundstück in Bezug auf seine Selbstnutzung disponieren, wie der aus dem Wohnrecht Berechtigte von diesem Gebrauch macht.
3. Die Frist zur unverzüglichen Bestimmung der Wohnung zur Selbstnutzung kann damit erst in dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, ab dem der Erwerber rechtlich in der Lage ist, die Wohnung selbst zu beziehen, ohne aufgrund entgegenstehender Verfügungen des Wohnungsberechtigten hieran gehindert zu sein.
4. Im Einzelfall kann eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG auch trotz tatsächlichen Einzuges erst knapp 24 Monate nach dem Erbfall gegeben sein.
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Die Volltexte der genannten Entscheidung sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie über das Niedersächsische Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) abrufen.
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Gut zu wissen
Elektronischer Rechtsverkehr
Auf Grundlage der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) wurde an allen niedersächsischen Gerichten die Möglichkeit geschaffen, in fast allen gerichtlichen Verfahren eine rechtsverbindliche elektronische Kommunikation durchzuführen.
Für die Anwaltschaft ist das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) als sicherer Übermittlungsweg vorgesehen. Das beA wird den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten durch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zur Verfügung gestellt. Für Steuerberaterinnen und Steuerberater stellt die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) das sog. besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) zur Verfügung.
Empfohlen wird die Verwendung des strukturierten Datensatzes XJustiz. XJustiz gibt beim elektronischen Datenaustausch mit der Justiz vor, welche Inhaltsdaten in strukturierter Form übermittelt werden sollen, damit die gesamte Nachricht automatisiert an den richtigen Bearbeiter weitergeleitet wird und so viele Daten wie möglich automatisiert in die elektronische Aktenführung übernommen werden können.
Wenn Sie also wünschen, dass Ihr Schriftsatz automatisiert und damit schnellstmöglich zu der zuständigen Richterin oder dem zuständigen Richter gelangt, achten Sie beim Ausfüllen der Felder im beA oder beSt auf die Angabe des gerichtlichen Aktenzeichens in dem dafür vorgesehenen Feld. Ist ein gerichtliches Aktenzeichen nicht bekannt, ist eine schlagwortartige Angabe vorzunehmen (zum Beispiel: Klage, Beschwerde oder nur Neu). Das Beifügen von Mehrausfertigungen ist im elektronischen Rechtsverkehr nicht mehr erforderlich.
Weitere Informationen finden Sie auf den Seiten des Niedersächsischen Landesjustizportals.
Neues aus dem Finanzgericht
Das Niedersächsische Finanzgericht durfte am 2. Juni 2025 Frau Caroline Caspari als neue Finanzrichterin begrüßen. Frau Caspari absolvierte zunächst eine Ausbildung für den gehobenen Dienst an der Landesfinanzschule Thüringen in Gotha und schloss diese als Diplom-Finanzwirtin (FH) ab. Im Anschluss war sie mehrere Jahre in der Thüringer Steuerverwaltung tätig. Parallel hierzu studierte sie Rechtswissenschaften an der Fernuniversität in Hagen und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Nach dem Referendariat übernahm sie verschiedene Leitungsfunktionen als Sachgebietsleiterin in der Thüringer Finanzverwaltung. Seit Juni 2025 verstärkt sie das Niedersächsische Finanzgericht als neues Mitglied des u.a. für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zuständigen 3. Senats.
Wir sind stolz, dass dieses Jahr wieder eine Staffel aus Richterinnen und Richtern des Niedersächsischen Finanzgerichts am Behördenmarathon teilgenommen und dabei sieben Mal den wunderschönen Maschsee umrundet hat. Neben dem Spass ist dabei ein solider Platz 86 (von 317 gestarteten Staffeln) herausgekommen. Glückwunsch an Mike Willam, Lutz Fette, Antje Hagena, Jens Harms, Katharina Scholz, Sebastian Siesenop und Christoph Schirp!
Spannender fachlicher Austausch mit der japanischen Richterin Miyo Ishii
Seit etwa einen Jahr nimmt die Richterin Miyo Ishii an einem Austauschprogramm zwischen Japan und Deutschland teil und besucht in diesem Rahmen auch das Niedersächsische Finanzgericht. In Japan war Frau Ishii zuletzt an einer Zivilkammer des Landgerichts Shizuoka tätig. Die Stadt Shizuoka liegt südwestlich von Tokio und Frau Ishii beschreibt sie begeistert als sehr naturnah und von Meer, Flüssen und Bergen umgeben.
In Japan sind die Landgerichte für sämtliche erstinstanzliche Verfahren zuständig (mit Ausnahme von Familiensachen), so dass Frau Ishii dort für ganz unterschiedliche Bereiche, darunter Zivil-, Verwaltungs-, Finanz und Arbeitssachen, zuständig war. Außerdem war sie am Familiengericht Shizuoka tätig und dort insbesondere mit Mediationen betraut. "Gerade weil das japanische Rechtsystem keine derartige Aufteilung vornimmt, interessiere ich mich sehr für das System der Fachgerichte in Deutschland und freue mich über die Gelegenheit, die einzelnen Fachgebiete näher kennen zu lernen.", so Frau Ishii.
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erstellt am:
18.06.2025
Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels