Artikel-Informationen
erstellt am:
17.05.2023
zuletzt aktualisiert am:
24.05.2023
Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels
Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts
Aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs frühestens nach Abschluss des erstmaligen "System-Roll outs"
Mit Zwischengerichtsbescheid vom 14. April 2023 – 9 K 10/23 hat der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts entschieden, dass eine am 9. Februar 2023 von der Steuerberaterin der Kläger per Telefax übermittelte Klage formwirksam erhoben worden ist, obwohl die Steuerberaterin ihren „Registrierungsbrief“ mit den Zugangsdaten für das sog. besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) bereits am 5. Januar 2023 erhalten hatte.
Denn eine aktive Nutzungspflicht des beSt (§ 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 52a Abs. 4 Nr. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG) besteht nach der Entscheidung des 9. Senats erst mit Abschluss des erstmaligen „System-Roll-outs“ des beSt. Hierbei erscheine es angemessen, auf den Zeitpunkt der Versendung der „letzten“ Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen System-Roll-outs zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt abzustellen. Erst mit Abschluss des erstmaligen „System-Roll-outs“ stehe der sichere Übertragungsweg „zur Verfügung“ (§ 52d Satz 2 FGO).
Damit tritt die Entscheidung des 9. Senats der im Gerichtsbescheid vom 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. März 2023 – 7 K 183/22 (ebenso wie der von dem Bundesfinanzhof mit zwischenzeitlich ergangenem Beschluss vom 28. April 2023 – IX B 101/22) vertretenen Auffassung entgegen.
Der 9. Senat begründet dies mit der Gesetzessystematik der betroffenen Regelungen § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und § 86d Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 157e) StBerG sowie mit verfassungsrechtlichen (d.h. grundrechtlichen) Erwägungen.
Wie auch das obiter dictum des Hessischen Finanzgerichts in seinem Beschluss vom 21. März 2023 – 10 V 67/23 (und der zwischenzeitlich veröffentlichte Zwischengerichtsbescheid des Finanzgerichts Münster ebenfalls vom 14. April 2023 – 7 K 86/23 E) zieht auch die Entscheidung des 9. Senats eine Verbindung zwischen dem „Zur-Verfügung-Stehen“ im Sinne des § 52d Satz 2 FGO und der gesetzlichen Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des beSt. Anders als das Hessische Finanzgericht und das Finanzgericht Münster unterscheidet der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts dabei jedoch begrifflich zwischen der „Errichtung“ des elektronischen Postfachs im Sinne des von § 52d Satz 2 FGO in Bezug genommenen § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und der „Einrichtung“ des beSt im Sinne des § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG. Dementsprechend versteht er das Tatbestandsmerkmal des „Zur-Verfügung-Stehens“ nicht personen-, sondern infrastrukturbezogen. Zur Begründung führt der 9. Senat neben einem Verweis auf die Gesetzessystematik u.a. an, dass eine derart verstandene Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Zur-Verfügung-Stehens“ dem auf Förderung der Prozessökonomie gerichteten Gesetzeszweck besser entspreche.
Ähnlich wie auch das Finanzgericht Münster hält der 9. Senat das sog. „Fast Lane“-Verfahren für ungeeignet, um eine frühere, bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2022 beginnende aktive Nutzungspflicht zu begründen. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete habe die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zu dulden. Ihn treffe indes – insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage – keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im „Fast Lane“-Verfahren zu beteiligen.
Mangels Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall konnte der 9. Senat offenlassen, ob die Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Abs. 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, die „Errichtung“ des beSt damit mit Ablauf des 31. März 2023 abgeschlossen ist und der „sichere Übermittlungsweg“ seit diesem Zeitpunkt auch „zur Verfügung“ steht.
Gegen den Zwischengerichtbescheid wurde Revision bei dem Bundesfinanzhof eingelegt. Das Aktenzeichen des Bundesfinanzhofs lautet X R 12/23.
---
Az. 7 K 105/18 – Urteil vom 22.12.2022
Umwandlung zu Buchwerten
Antrag auf Umwandlung zu Buchwerten nach § 3 Abs. 2 UmwStG n.F. kann auch konkludent gestellt werden.
Revision, BFH-AZ: IV R 3/23
---
---
Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie über das Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) abrufen.
---
Gut zu wissen
Finanzgerichtliches Verfahren - Wer muss eigentlich was beweisen?
Im finanzgerichtlichen Verfahren ist für die Beantwortung der steuerrechtlichen Fragen zunächst entscheidend, welcher Lebenssachverhalt tatsächlich vorliegt. Hinsichtlich der Feststellung dieses Lebenssachverhaltes gilt grundsätzlich das Amtsermittlungsprinzip. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Diese Pflicht umfasst die Aufklärung des Sachverhalts unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel (z.B. Wertgutachten, Zeugenaussagen, Augenscheinseinnahmen). Die Mitwirkungspflichten der Beteiligten begrenzen allerdings die Amtsermittlungspflicht des Finanzgerichts, wobei dem Gedanken der Beweisnähe besondere Bedeutung zukommt. Dies bedeutet z.B. für den Kläger, er muss Tatsachen aus seiner Einflusssphäre oder seinem Verantwortungsbereich detailliert gegenüber dem Gericht darlegen (z.B. im Kindergeldrecht die Ausbildungsbemühungen eines volljährigen Kindes). Liegt ein Auslandssachverhalt vor, trifft die Beteiligten nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung eine erhöhte Mitwirkungspflicht (z.B. Stellung von Auslandszeugen).
Für die Frage „Wer muss eigentlich was beweisen?“ fehlt in der FGO eine starre, gesetzlich fixierte Beweislastregelung. Es gelten vielmehr die Regeln der objektiven Feststellungslast. Dies bedeutet: Grundsätzlich trägt jeder Beteiligte die objektive Feststellungslast für das Vorhandensein der für ihn günstigen Tatsachen. Für steuerbegründende Tatsachen (z.B. Betriebseinnahmen) liegt die Feststellungslast also grundsätzlich beim Finanzamt, für steuerbefreiende oder -mindernde Tatsachen (z.B. Betriebsausgaben) beim Steuerpflichtigen. Erst wenn sich ein Sachverhalt unter Ausschöpfung der Beweismittel nicht mit der erforderlichen Gewissheit aufklären lässt, trifft das Gericht eine Entscheidung unter Berücksichtigung der objektiven Feststellungslast. Die Nichterweislichkeit einer steuermindernden Tatsache geht in diesem Fall zu Lasten des Steuerpflichtigen, die Nichterweislichkeit einer steuerbegründenden Tatsache zu Lasten des Finanzamtes.
Beiträge zu den Einzelheiten der Beweismittel und der Beweiserhebung folgen in den nächsten Newslettern.
Neues aus dem
Niedersächsischen
Finanzgericht
41 Schülerinnen und Schüler auf Justitias Spuren im Fachgerichtszentrum Hannover
Am 27. April war der Nachwuchs zu Besuch im Fachgerichtszentrum Hannover. 41 Schülerinnen und Schüler konnten im Rahmen des Zukunftstages die Justiz näher kennenlernen. Die Verantwortlichen aller Gerichte des Fachgerichtszentrums hatten für die jungen Gäste ein vielfältiges Programm zusammengestellt.
Nach der Begrüßung durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Wilhelm Mestwerdt standen u.a. die Vorstellung der vielfältigen Berufsmöglichkeiten in der Justiz und die Teilnahme an mündlichen Verhandlungen des Arbeitsgerichts und Sozialgerichts, wo Fragen des Schwerbehindertenrechts Gegenstand des Verfahrens waren, auf dem Programm. Die Schülerinnen und Schüler durften außerdem einen Blick in die sehr gut ausgestattete Gerichtsbibliothek werden und bei einer Vorführung der Justizwachtmeisterei die Sicherheitsvorkehrungen im Fachgerichtszentrum kennenlernen. Dabei konnten die Jugendlichen auch durch einen (natürlich freiwilligen) Praxistest nachempfinden, wie es sich anfühlt, in Handschellen abgeführt zu werden. Am Ende des abwechslungsreichen Zukunftstages schlüpften die Jugendlichen selber in die Rollen verschiedener Beteiligter und agierten bei einem Rollenspiel als ehrenamtliche Richter, Beklagten- oder Klägervertreter.
Verabschiedet wurden die Mädchen und Jungen durch die Präsidentin des Niedersächsischen Finanzgerichts Petra Hager: „Ich freue mich, dass wir die Gelegenheit hatten, euch allen die Fachgerichtsbarkeiten mit ihren abwechslungsreichen Berufschancen vorstellen zu können. Vielleicht habt ihr ja heute Lust bekommen, später selber einen Beruf bei einem Gericht zu ergreifen. Die Aufgaben sind hier sehr vielfältig und abwechslungsreich.“
---
Der von dem steuerrechtlichen Lehrstuhl der Universität Osnabrück um Prof. Dr. Steffen Lampert zum zweiten Mal veranstaltete Tax Career Day fand auch in diesem Jahr in den Räumlichkeiten der KPMG AG in Hannover statt. Neben 13 Studierenden der Universität Osnabrück nahmen auch 14 Studentinnen und Studenten der Leibniz Universität Hannover teil.
Im Zentrum der Veranstaltung stand eine sogenannte case study: An einem Fall, der an eine aktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofs angelehnt war, wurden steuerrechtliche Fragestellungen anschaulich erörtert.
Zum Einstieg verschaffte Prof. Lampert einen ersten Überblick über den Fall und die damit verbundenen rechtlichen Besonderheiten. Konkret ging es um die Besteuerung von Unternehmensanteilen bei Aufgabe des inländischen Wohnsitzes und Wegzug ins Ausland. Die internationale Komponente machte den Fall besonders spannend, da hier neben dem Einkommensteuergesetz auch das Außensteuergesetz zur Anwendung kam.
Anschließend wurde der Sachverhalt in zwei Gruppen aus unterschiedlichen Perspektiven genauer durchleuchtet. Eine Gruppe näherte sich dem Fall zusammen mit Rechtsanwalt Falko Fiedler und Steuerberater Oliver Mattern von der KPMG AG aus der Beraterperspektive. Die zweite Gruppe schaute gemeinsam mit Niklas Vogel (Landesamt für Steuern) und Alexander Stein (Finanzamt Hannover-Nord) aus Sicht der Finanzverwaltung auf den Fall. Abschließend fand ein Austausch über die unterschiedlichen Herangehensweisen statt.
Zum Abschluss erfolgte eine kurze Vorstellung der Finanzgerichtsbarkeit durch den Pressesprecher des Niedersächsischen Finanzgerichts Dr. Thomas Keß. Dieser verschaffte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Überblick über den Aufbau und die Arbeit am Finanzgericht und informierte über die Tätigkeit der Finanzrichterinnen und Finanzrichter.
Artikel-Informationen
erstellt am:
17.05.2023
zuletzt aktualisiert am:
24.05.2023
Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels