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Newsletter 4/2023 vom 22. März 2023

Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts


Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs (beSt) ab dem 1. Januar 2023
7 K 183/22 - Gerichtsbescheid vom 10.2.2023

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat durch Gerichtsbescheid vom 10. Februar 2023 entschieden, dass ein durch einen Steuerberater nach dem 1. Januar 2023 lediglich per Fax eingereichter bestimmender Schriftsatz, im Streitfall die Bezeichnung des Klagebegehrens, nicht rechtswirksam ist.

Der Steuerberater war nach § 52d Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verpflichtet, den Schriftsatz als elektronisches Dokument zu übermitteln, da ihm spätestens seit dem 1. Januar 2023 ein sicherer Übermittlungsweg gemäß § 52 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO "zur Verfügung steht". Die Verpflichtung betrifft sämtliche bestimmenden Schriftsätze. Hierzu gehören insbesondere die Klageschrift und andere Schriftsätze, mit denen eine für das Verfahren wesentliche Prozesshandlung vollzogen wird.

Der Senat stützt dieses Ergebnis darauf, dass die Bundessteuerberaterkammer durch § 86d Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) verpflichtet gewesen sei, über die Steuerberaterplattform für Steuerberaterinnen, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (beSt) einzurichten. Die Inhaberinnen und Inhaber des beSt seien wiederum nach § 86d Abs. 6 StBerG verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über dieses zur Kenntnis zu nehmen (passive Nutzungspflicht). Nach § 157e StBerG sei diese Regelung am 1. August 2022 in Kraft getreten und erstmals ab dem 1. Januar 2023 anzuwenden.

Die Verpflichtung zur Nutzung des beSt knüpfe an diesen Einrichtungszeitpunkt an. Nach der Gesetzesbegründung sei dieser "auf Grund der noch erforderlichen technischen Umsetzung" auf den 1. Januar 2023 bestimmt worden. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sollte mit diesem Zeitpunkt die passive, und gleichzeitig die aktive Nutzungspflicht beginnen.

Der Gesetzgeber habe sich mit guten Gründen dagegen entschieden, die Nutzungspflicht an ein anderes (unbestimmtes) Ereignis, wie z.B. die Erstanmeldung des Postfachinhabers oder den Erhalt des Registrierungsbriefes zu knüpfen. Eine Nutzungspflicht für jede Steuerberaterin und jeden Steuerberater zum 1. Januar 2023 sei zwingend erforderlich gewesen, um deren elektronische Erreichbarkeit sicherzustellen. Anderenfalls müsste die Gerichte gesonderte Listen über die jeweilige Erreichbarkeit führen, und u.U. in jedem Einzelfall den Erhalt des Registrierungsbriefs oder den Zeitpunkt der Erstregistrierung ermitteln. Dadurch würde die Wirkung des gesamten vorgesehenen Systems gefährdet.

Der Gesetzgeber habe ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf die Einrichtung des beSt eingeräumt. Etwaige Organisationsmängel der Bundessteuerberaterkammer rechtfertigten keine Suspendierung des gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkts.

Eine die Ersatzeinrichtung in Papierform berechtigende, vorübergehende technische Störung i.S. des § 52d Sätze 3 und 4 FGO liege nicht vor, wenn ein zugelassener elektronischer Übermittlungsweg noch gar nicht eingerichtet worden sei. Es handele sich also nicht um ein technisches Problem bei der Verwendung des vollständig eingerichteten beSt, sondern um einen strukturellen Mangel.

Schließlich liege auch keine (absolute) Unmöglichkeit vor, dass beSt zu nutzen, weil für Steuerberaterinnen und Steuerberater, die aktiv mit den Finanzgerichten kommunizierten, bereits vor dem 1. Januar 2023 die Möglichkeit bestanden habe, über die sog. "Fast Lane" eine schnellere Einrichtung des beSt zu erreichen.


Weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts

Az. 8 K 41/21 – Urteil vom 08.11.2022

Keine verfassungswidrige Verletzung schutzwürdigen Vertrauens durch die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 S. 5 bis 7 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugssteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, 1259) gemäß § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG

Revision eingelegt, BFH-Az: IV R 31/22

Unter den Aktenzeichen (BFH-Az: IV R 32/22), , (BFH-Az: IV R 39/22), (BFH-Az. IV R 33/22), 8 K 58/21 (BFH-Az.: IV R 38/22), (BFH-Az.: IV R 34/22) und (BFH-Az.: IV R 35/22) sind ebenfalls am 8.11.2022 im Wesentlichen gleichlautende Entscheidungen des 8. Senats ergangen.

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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie über das Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) abrufen.

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Gut zu wissen

Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Arbeit der Finanzgerichte

Nach der Veröffentlichung der KI-gesteuerten Software ChatGPT ist es derzeit gerade in den Sozialen Netzwerken en vogue, das Programm nach dem Vorbild des Orakels von Delphi nach möglichen Entwicklungen und Einflüssen der KI auf verschiedene Bereiche des Lebens zu befragen. Wir konnten uns dem nicht ganz entziehen und haben ChatGPT daher die Frage gestellt, welchen Einfluss die KI auf die Arbeit eines deutschen Finanzgerichts haben wird. Folgende Antwort haben wir erhalten:

"Die KI hat bereits begonnen, die Arbeit von deutschen Finanzgerichten zu beeinflussen, und wird voraussichtlich auch in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Hier sind einige der potenziellen Auswirkungen:

  1. Effizienzsteigerung: KI-Systeme können bei der Analyse von großen Datenmengen helfen, indem sie Muster und Trends identifizieren. Finanzgerichte können diese Technologie nutzen, um schnell und effizient Daten aus verschiedenen Quellen zu sammeln und zu analysieren, was zu schnelleren Entscheidungen und einer höheren Produktivität führt.

  2. Automatisierung von Prozessen: KI-Systeme können auch bestimmte Prozesse automatisieren, wie zum Beispiel das Extrahieren von Daten aus eingereichten Dokumenten oder das automatische Generieren von Entwürfen für Entscheidungen. Dadurch können die Mitarbeiter des Finanzgerichts entlastet werden und sich auf komplexe Fälle konzentrieren.

  3. Unterstützung bei Entscheidungsfindung: KI-Systeme können auch bei der Entscheidungsfindung helfen, indem sie Daten analysieren und Vorschläge für Entscheidungen liefern. Dies kann Richtern helfen, schnell und fundierte Entscheidungen zu treffen.

  4. Herausforderungen bei der Implementierung: Es gibt jedoch auch Herausforderungen bei der Einführung von KI-Systemen in Finanzgerichten. Zum Beispiel können Bedenken hinsichtlich der Datenqualität oder der Sicherheit von Daten auftreten, wenn maschinelle Lernmodelle auf unsaubere oder fehlerhafte Daten angewendet werden. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die KI-Systeme transparent, fair und nachvollziehbar sind.

Insgesamt wird die KI voraussichtlich eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Finanzgerichten spielen, um die Effizienz zu steigern, die Automatisierung von Prozessen zu fördern und die Entscheidungsfindung zu unterstützen. Es ist jedoch wichtig, dass diese Technologie transparent und fair eingesetzt wird, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Rechtsprozess aufrechtzuerhalten."

Tatsächlich beschäftigt sich aktuell das Niedersächsische Justizministerium damit, wie die Richterinnen und Richter durch den Einsatz von KI, gerade auch in Massenverfahren, bei ihrer Arbeit unterstützt werden können. Im Fokus stehen dabei die Unterstützung durch die KI bei der Aktendurchdringung und die Verbesserung des Wissensmanagements. Ausgangspunkt bildete die Testung einer KI-gestützten Software im Jahr 2022, die erste Erfahrungen mit KI ermöglichte. Die Bedeutung von KI wird also auch für die Justiz zunehmen und den Alltag in den Gerichten verändern. Man darf gespannt sein.

Neues aus dem
Niedersächsischen
Finanzgericht

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Verabschiedung Dr. Jörg Grune

Herr Dr. Jörg Grune, Vorsitzender Richter am Niedersächsischen Finanzgericht, ist Ende Februar 2023 nach fast 34 Jahren als Richter und knapp 7 Jahren als Vorsitzender Richter in den Ruhestand getreten.

Dr. Grune studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und an der Georg-August-Universität Göttingen, wo er auch seine Referendariatszeit absolvierte. Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete er von 1985 bis 1989 im höheren Dienst der Niedersächsischen Finanzverwaltung bei den Finanzämtern Göttingen, Hildesheim und Hannover-Süd, bevor er am 3. Juli 1989 zum Richter am Niedersächsischen Finanzgericht in Hannover ernannt wurde. Parallel zu dortigen Tätigkeit promovierte Grune im Jahr 2012 an der Juristischen Fakultät der Universität Osnabrück zu Fragen der Umsatzsteuernachschau. Grune wurde im August 2016 zum Vorsitzenden Richter am Niedersächsischen Finanzgericht ernannt und war als solcher bis zuletzt in dem insbesondere für die Umsatzsteuer zuständigen 11. Senat tätig.

Während seiner Tätigkeit als Richter am Niedersächsischen Finanzgericht war Dr. Grune auch 30 Jahre lang Mitglied des Präsidiums, mehrere Jahre Mitglied des Präsidialrats und mehr als 20 Jahre Pressesprecher des Niedersächsischen Finanzgerichts. Auch durch seine Vortragstätigkeit, insbesondere für den Steuerberaterverband Niedersachsen-Sachsen Anhalt, durch seine Lehrtätigkeit für das (frühere) Institut für Finanz- und Steuerrecht der Universität Osnabrück und durch seine Autorentätigkeit ist er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Zum Ausscheiden von Herrn Grune äußerte sich die Präsidentin des Niedersächsischen Finanzgerichts, Petra Hager, wie folgt: "Dr. Grune hat sich während seiner langjährigen Tätigkeit am Niedersächsischen Finanzgericht durch hohe Fachkompetenz, Engagement und Verantwortungsbewusstsein ausgezeichnet. Seine ruhige und ausgeglichene Art hat zu einer guten Atmosphäre innerhalb des Gerichts beigetragen. Durch seine vielfältigen Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Gerichts war er für viele so etwas wie das Gesicht des Niedersächsischen Finanzgerichts. Wir werden ihn als Kollegen sehr vermissen und wünschen ihm für seinen Ruhestand alles Gute!"


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Neue Vorsitzende Richterin am Finanzgericht Britta Blötz

Am 1. März 2023 wurde Frau Britta Blötz zur Vorsitzenden Richterin am Niedersächsischen Finanzgericht ernannt.

Frau Blötz begann ihre berufliche Laufbahn nach dem Abitur im August 1988 mit einer Ausbildung im gehobenen Dienst der niedersächsischen Finanzverwaltung beim Finanzamt Hannover-Land II. Nach Abschluss ihrer Ausbildung arbeitete sie zunächst als Steuerinspektorin und begann im April 1992 parallel dazu ein Jurastudium in Hannover.

Im September 1996 legte Frau Blötz das erste juristische Staatsexamen ab und schied im Februar 1997 aus der Finanzverwaltung aus, um ihr Referendariat im OLG-Bezirk Celle zu absolvieren. Während des Referendariats war sie u.a. bei dem Niedersächsischen Finanzgericht und der Handelskammer in Bangkok tätig. Nach ihrem zweiten Staatsexamen trat Frau Blötz im Oktober 1999 in den höheren Dienst der niedersächsischen Finanzverwaltung ein, zunächst beim Finanzamt Hannover-Land I und später als Sachgebietsleiterin beim Finanzamt Hannover-Mitte.

Im August 2002 wechselte Frau Blötz an das Niedersächsische Finanzgericht und war zunächst im 16. Senat tätig, bevor sie im Jahr 2012 in den 9. Senat wechselte. Ab dem 1. März 2023 wird sie dem für Umsatzsteuer zuständigen 11. Senat als Vorsitzende Richterin angehören.

Interne Fortbildung "Haftungsrecht"


Am 27. Februar 2023 fand eine weitere hausinterne Fortbildung im Niedersächsischen Finanzgericht statt.

Die Referenten, VRiFG Dr. Thilo Cöster und RiFG Christian Stern, erläuterten im Rahmen einer Hybrid-Veranstaltung insbesondere die Grundlagen und Besonderheiten der Vertreterhaftung nach § 69 der Abgabenordnung (AO) sowie die Steuerhinterzieherhaftung nach § 71 AO.

Dabei wurde zunächst herausgestellt, dass bei einer gerichtliche Überprüfung eines Haftungsbescheides insbesondere die Zweigliedrigkeit der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zu berücksichtigen ist. Vor dem Erlass eines Haftungsbescheides hat das Finanzamt zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar. Prüfungsmaßstab hierfür ist allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung).

Sodann wurden die Besonderheiten der einzelnen Haftungsnormen dargestellt (z.B. §§ 69, 34 AO Haftung der Vertreter, § 71 AO Haftung des Steuerhinterziehers, § 73 AO Haftung bei Organschaft, § 75 AO Haftung des Betriebsübernehmers, § 25 HGB Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäfts bei Firmenfortführung, §§ 171 - 176 HGB Haftung des Kommanditisten).

Artikel-Informationen

erstellt am:
22.03.2023
zuletzt aktualisiert am:
28.03.2023

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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