Artikel-Informationen
erstellt am:
21.10.2021
Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels
Rechtsprechung des
Niedersächsischen
Finanzgerichts
Der Büro- und Organisations-Bonus bzw. die Förderprovision unterliegen der Steuerbefreiung für Vermittlungsleistungen nach § 4 Nr. 8 und 11 UStG.
Mit Urteil vom 19.08.2021 (11 K 190/19) hat der 11. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts zu der Frage Stellung genommen, ob ein sog. Büro- und Organisations-Bonus bzw. eine Förderprovision der Umsatzsteuerbefreiung für Vermittlungsleistungen nach § 4 Nr. 8 und 11 UStG unterliegen.
Im Streitfall war der Kläger als selbstständiger gebundener Vermögensberater ausschließlich für den Allfinanzvertrieb der A tätig und vermittelte für diese Finanzprodukte. Nach dem Vermögensberatervertrag durfte er entweder durch höchstpersönlichen Kundenkontakt (Eigengeschäfte) oder unter Einsatz von anderen Vermögensberatern (Gruppengeschäfte) Vermittlungsleistungen erbringen. Er war sowohl im Eigen- als auch im Gruppengeschäft tätig. Aus beiden Geschäften erbrachte er als Vermittler unstreitig umsatzsteuerfreie Leistungen gemäß § 4 Nr. 8 und Nr. 11 UStG. In den Streitjahren erhielt er von der A u.a. Sonderprovisionen wie einen Büro- und Organisations-Bonus bzw. ab April 2017 eine Förderprovision. Diese Provisionen wurden nach vermittelten Gruppenumsatz-Einheiten bemessen und setzten in den letzten 12 Monaten einen Gruppenumsatz von 6.000 Einheiten voraus. In den Bedingungen des Büro- und Organisations-Bonus war geregelt, dass er für die Einrichtung, den Unterhalt und den Betrieb eines Büros, das einem kaufmännischen Mindeststandard entspricht und bei Bedarf Schulungen, Berufsinformationsseminare und ähnliche Veranstaltungen ermöglicht, sowie für organisatorische Maßnahmen zu verwenden ist, die der Förderung der Vertriebstätigkeit der betreuten Unterstruktur dient und ihr zugutekommt.
Das beklagte Finanzamt sah den Büro- und Organisations-Bonus sowie die Förderprovision jeweils als Entgelt für den Aufbau eines Strukturvertriebs an und unterwarf diese Zahlungen der Regelbesteuerung.
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.
Nach Überzeugung des 11. Senats unterliegen der Büro- und Organisations-Bonus bzw. die Förderprovision der Steuerbefreiung für Vermittlungsleistungen nach § 4 Nr. 8 und 11 UStG. Sie stellen eine Aufstockung der – vom Beklagten als umsatzsteuerfrei behandelten – Grundprovision für die vom Vermögensberater erzielten Gruppenumsätze dar. Es besteht jeweils ein spezifischer und wesentlicher Bezug zu einzelnen Vermittlungsgeschäften, weil der Bonus bzw. die Förderprovision auf das jeweilige steuerfreie Gruppengeschäft zurückzuführen sind. Entgegen der Auffassung des beklagten Finanzamts bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Leistungen für eine Anwerbetätigkeit neuer Vermögensberater und den Aufbau eines Strukturvertriebs erbracht werden. Nach den Feststellungen des Senats und der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisaufnahme werden Bonus bzw. Förderprovision unabhängig davon gezahlt, ob der jeweilige Vermögensberater in dem jeweiligen Jahr tatsächlich neue Vermögensberater für die A gewonnen hat. Sie sind vom Gesamterfolg der A und dem erwirtschafteten (Mindest-)Gruppenumsatz des Vermögensberaters abhängig.
Gegen die Entscheidung wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen XI B 85/21 geführt wird.Weitere Entscheidungen
des Niedersächsischen
Finanzgerichts
Az. 3 K 112/19 – Urteil vom 25.08.2021
Reichweite der Bindungswirkung für Zwecke der Schenkungsteuer gesondert festgestellter Grundbesitzwerte
Die Bindungswirkung gesondert festgestellter Grundbesitzwerte für Zwecke der Schenkungssteuer erstreckt sich im Falle von Nachschenkungen auch auf die Berücksichtigung der Werte im Rahmen von § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG.
Revision eingelegt – BFH-Az.: II R 35/21
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Az. 5 K 174/19 – Urteil vom 19.08.2021
Zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Überlassung von Parkplätzen und anderen Nebenleistungen an Hotelgäste
Die nicht gesondert vereinbarte Überlassung von Parkplätzen, W-LAN und Fitnesseinrichtungen an Hotelgäste unterliegt nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz.
Revision eingelegt – BFH-Az.: XI R 22/21
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Az. 7 K 11111/17 – Urteil vom 17.10.2019
Verlustverrechnung bei der Verschmelzung zweier Personengesellschaften
Bei der Verschmelzung zweier Personengesellschaften kann der von der übertragenden Gesellschaft im Verschmelzungsjahr erzielte Verlust mit einem von der übernehmenden Gesellschaft erwirtschafteten Gewinn zum Zeitpunkt des steuerlichen Umwandlungsstichtags (31. Dezember 2014) nicht verrechnet werden.
Revision eingelegt – BFH-Az.: IV R 6/21
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Az. 7 K 11255/17 – Urteil vom 17.10.2019
Gewerbeverlustverrechnung bei der Verschmelzung zweier Personengesellschaften
Bei der Verschmelzung zweier Personengesellschaften kann der von der übertragenden Gesellschaft im Verschmelzungsjahr erzielte Gewerbeverlust mit einem von der übernehmenden Gesellschaft erwirtschafteten Gewerbegewinn zum Zeitpunkt des steuerlichen Umwandlungsstichtags (31. Dezember 2014) nicht verrechnet werden.
Revision eingelegt – BFH-Az.: IV R 7/21
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Az. 10 K 198/20 – Urteil vom 27.05.2021
Kein privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 EStG bei Vermietung nur einzelner Räume eines Gebäudes lediglich an einzelnen Tagen
Der Gewinn aus der Veräußerung von selbstgenutztem Wohneigentum ist auch dann nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG in vollem Umfang von der Besteuerung ausgenommen, wenn in den Jahren vor der Veräußerung wiederkehrend einzelne Räume des Gebäudes lediglich an einzelnen Tagen (konkret zwischen 12 und 25 Tagen pro Jahr) an Messegäste vermietet wurden.
Revision eingelegt – BFH-Az.: IX R 20/21
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Az. 11 K 319/19 – Urteil vom 11.06.2020
Keine Steuerbefreiung ohne unmittelbare Leistungen des Sozialversicherungs-trägers
Keine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. l) UStG bei fehlenden Zahlungen durch den Sozialversicherungsträger.
rechtskräftig
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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie auf dem Niedersächsischen Landesjustizportal abrufen.
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Gut zu wissen
Senat, Einzelrichter oder Berichterstatter – wer entscheidet?
Nach Eingang einer Klage erhalten die Beteiligten mit der Eingangsbestätigung regelmäßig die Information, wer für die erhobene Klage zuständig ist - z.B. „Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats ist zurzeit Frau Richterin am Finanzgericht Bartels als Berichterstatterin für das Verfahren zuständig“.
Doch wer entscheidet letztendlich über die Klage? Nach der finanzgerichtlichen Verfahrensordnung entscheidet grundsätzlich ein Senat in einer Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO). Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zu übertragen (§ 6 FGO). Dies geschieht durch einen Beschluss des Senates mit der Folge, dass nunmehr nicht mehr der gesamte Senat, sondern ein einzelner Richter zur Entscheidung befugt ist. Ehrenamtliche Richter wirken an der Entscheidung des Einzelrichters nicht mehr mit. Einzelrichter ist dabei der Richter, in dessen Dezernat die Klage nach dem Geschäftsverteilungsplan anhängig ist, d.h. derjenige, der für die Bearbeitung des Verfahrens ab dem Eingang der Klage zuständig ist. Eine Übertragung auf den Einzelrichter ist unter zwei Voraussetzungen möglich, und zwar dann, wenn die Sache weder rechtlich noch tatsächlich besonders schwierig ist und wenn keine grundsätzliche Bedeutung vorliegt. Ein Einverständnis des Klägers oder der beklagten Behörde ist jedoch nicht notwendig.
Eine weitere Möglichkeit ist die Entscheidung durch den Berichterstatter (§ 79a FGO). Berichterstatter ist – genau wie der zuständige Einzelrichter – der Richter, in dessen Dezernat die Klage anhängig ist. Eine Entscheidung durch den Berichterstatter setzt das Einverständnis aller Beteiligten des Klageverfahrens (Kläger, Beklagter, ggfl. Beigeladener) voraus, ist jedoch darüber hinaus an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft und daher in allen Verfahren möglich. Das Einverständnis wird seitens des Gerichts von den Beteiligten abgefragt und muss ausdrücklich schriftlich erklärt werden. Ein Widerruf eines erteilten Einverständnisses ist nur möglich, wenn sich die Prozesslage ändert, nicht aber, wenn aufgrund der Änderung der Geschäftsverteilung ein anderer Berichterstatter zuständig wird.
Unabhängig davon, ob der Senat, der Einzelrichter oder der Berichterstatter entscheidet, sind die Rechtswirkungen eines Urteils identisch und es sind die allgemeinen Rechtsmittel (Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) gegeben.
Weitere Inhouse-Fortbildung zu den Themengebieten "Einkünfte aus Kapitalvermögen" und "Internationales Steuerrecht"
Das Niedersächsische Finanzgericht hat im September 2021 eine weitere Inhouse-Fortbildung durchgeführt, die als „Hybrid“-Veranstaltung von den Teilnehmern entweder im Sitzungssaal oder als Webinar verfolgt werden konnte.
Im ersten Teil der Fortbildung gab der Richter am Finanzgericht Jens Intemann einen umfassenden Überblick über Entwicklungen und Problemstellungen im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen, beginnend mit der allgemeinen Systematik der Abgeltungssteuer über die Besteuerung verschiedener Anlageprodukte bis hin zu verfassungsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Verlustverrechnungsbeschränkungen etwa aus der Veräußerung von Aktien (s. hierzu den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs an das Bundesverfassungsgericht vom 17.11.2020, Az. VIII R 11/18).
Die Richterin am Finanzgericht Dr. Antje Hagena gab im zweiten Teil der Fortbildung im Bereich des Internationalen Steuerrechts einen Überblick über Systematik und Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen. Weiteres Thema waren aktuelle Gesetzesänderungen durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz, das ATAD-Umsetzungsgesetz sowie das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts, das u.a. eine Option für Personenhandelsgesellschaften zur Besteuerung als Körperschaft vorsieht.
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21.10.2021
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Frau Andrea-Alexandra Bartels