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Newsletter 1/2025 vom 16. Januar 2025

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Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts

Vorsteuerabzug bei Konkurrenz der umsatzsteuerlichen Befreiungsvorschriften nach § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG und § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG

5 K 17/24 - Urteil vom 14. November 2024

Der 5. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hatte sich bei seiner Entscheidung - soweit ersichtlich erstmals - mit der umstrittenen Rechtsfrage des Verhältnisses der Umsatzsteuerbefreiungsvorschriften nach § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG und § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG im Hinblick auf den Vorsteuerabzug auseinanderzusetzen. Im Streitfall ging es um innergemeinschaftliche Lieferungen von Blindenwaren von Deutschland nach Österreich. Geklagt hatte der Inhaber einer anerkannten Blindenwerkstätte zur Herstellung und zum Vertrieb von Blindenwaren und Zusatzwaren im Sinne des § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG. Dieser hatte in den Streitjahren 2014 bis 2017 neben seinen (teilweise steuerfreien) Inlandsumsätzen auch umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i. V. m. § 6a UStG) solcher Blindenwaren nach Österreich ausgeführt zur dortigen Veredelung und zum Weiterverkauf durch seine österreichische GmbH. Der Kläger machte den Vorsteuerabzug für die mit diesen steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen im Zusammenhang stehenden Eingangsumsätze im Inland geltend. Das beklagte Finanzamt verwehrte dem Kläger jedoch insofern den Vorsteuerabzug unter Verweis auf die entsprechende Verwaltungsauffassung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE), wonach grundsätzlich die Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug (z. B. § 4 Nr. 8 bis 29 UStG) den Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug (z. B. § 4 Nr. 1 bis 7 UStG) vorgehen würden. Danach sei vorliegend der Vorsteuerabzug bereits nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen und die Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG komme nicht zur Anwendung (Abschn. 4.19.2 Abs. 3 UStAE, Abschn. 6a.1 Abs. 2a UStAE und Abschn. 15.13 Abs. 5 UStAE).

Das Niedersächsische Finanzgericht folgte dieser Verwaltungsauffassung im Streitfall nicht und gab der Klage statt. Das Gericht berücksichtigte dabei, dass es sich bei dem personenbezogenen eingeschränkt formulierten Steuerbefreiungstatbestand nach § 4 Nr. 19 UStG um eine nicht harmonisierte, innerstaatliche Regelung handelt. Nach einer unionsrechtlichen Übergangsvorschrift darf Deutschland die in § 4 Nr. 19 UStG genannten Umsätze der Blinden und Blindenwerkstätten von der Umsatzsteuer befreien. Zwar können Unternehmer, die unter § 4 Nr. 19 UStG fallende Leistungen im Inland erbringen, grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerfreiheit verzichten, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung sei für den Kläger ein solcher Verzicht nach Auffassung des 5. Senates des Niedersächsischen Finanzgerichts jedoch tatsächlich gar nicht möglich, da der Kläger die innergemeinschaftlichen Lieferungen zu Recht als umsatzsteuerfrei in seinen Rechnungen ausgewiesen hatte. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 UStG nach § 9 Abs. 1 UStG sei in diesem grenzüberschreitenden Fall vielmehr gegenstandlos. Nach Auffassung des Gerichts werde durch die vorrangige Anwendung der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i. V. m. § 6a UStG) eine systemwidrige Mehrfachbelastung des Klägers mit Umsatzsteuer über alle Wertschöpfungsstufen hinweg vermieden, da in diesem Fall nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG kein Vorsteuerausschluss eintrete und die Besteuerung in den Bestimmungsmitgliedstaat (hier Österreich) verlagert werde.

Gegen das Urteil hat das Finanzamt die Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt (Aktenzeichen des BFH: XI R 33/24).

Weitere Entscheidung des Finanzgerichts


9 K 309/21 - Urteil vom 4. Juli 2024

Wegfall des auf einen verstorbenen Mitunternehmer entfallenden Gewerbeverlusts einer Mitunternehmerschaft kann weder durch telelogische Reduktion des § 10a GewStG noch durch entsprechende Anwendung des § 8c KStG oder des § 8d KStG vermieden werden

1. Auch die zu § 15a EStG ergangene Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 1. März 2018 IV R 16/15, BFHE 261, 101, BStBl II 2018, 527) gibt keinen Anlass, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 7. Dezember 1993 VIII R 160/86, BFHE 173, 371, BStBl II 1994, 331; Beschluss vom 26. Juni 1997 VIII B 70/96, juris) im Wege der telelogischen Reduktion bei einer unentgeltlichen Übertragung eines Mitunternehmeranteils im Wege der Erbfolge auf das Erfordernis der Unternehmeridentität im Rahmen des § 10a GewStG zu verzichten.
2. Die „Stille Reserven“-Klausel des § 8c Abs. 1 Sätze 5 und 6 KStG ist weder über § 10a Satz 10 GewStG noch analog auf die gewerbesteuerrechtlichen Fehlbeträge von Mitunternehmerschaften anwendbar (im Anschluss an BFH, Urteil vom 12. November 2020 IV R 29/18, BFHE 270, 538, BStBl II 2021, 722).
3. Der gewerbesteuerliche Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, an der unmittelbar oder mittelbar über andere Personengesellschaften keine Körperschaften beteiligt sind, unterfällt auch nicht dem Anwendungsbereich des in § 10a S. 11 GewStG enthaltenen Verweises auf § 8d KStG, da der gewerbesteuerrechtliche Verweis auf § 8d KStG als Ausnahme von der körperschaftsteuerrechtlichen Verlustbeschränkung keinesfalls weiterreichend verstanden werden kann als der gewerbesteuerrechtliche Verweis auf die körperschaftsteuerrechtliche Verlustbeschränkung selbst.
4. Eine analoge Anwendung des § 8d KStG auf den Gewerbeverlust einer Mitunternehmerschaft findet mangels (für Zwecke der Gewerbesteuer) ähnlich gelagerter Sachverhalte nicht statt; gleichsam ist eine entsprechende Anwendung in diesen Fällen mangels Vergleichbarkeit auch gleichheitsrechtlich nicht geboten.

Revision eingelegt; BFH-AZ: VI R 14/24

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Die Volltexte der genannten Entscheidung sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie über das Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) abrufen.

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Gut zu wissen

Bekanntgabefiktion - die Zugangsvermutung verlängert sich ab dem 1. Januar 2025 auf vier Tage

Ein Verwaltungsakt wie der Steuerbescheid wird nach den gesetzlichen Regelungen in der Abgabenordnung (AO) erst mit der Bekanntgabe wirksam (§ 124 AO). Bisher fingierte die AO im Fall der Übermittlung schriftlicher Verwaltungsakte durch die Post einen Bekanntgabezeitpunkt von drei Tagen ab Erlassdatum des Verwaltungsaktes.

Durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber im letzten Jahr die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Zugleich wurden dabei auch die Vermutungsregelungen für die Zustellung von Verwaltungsakten nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2a AO sowie § 122a Abs. 4 Satz 1 AO an diese verlängerten Laufzeitvorgaben angepasst und von drei auf vier Tage geändert.

Fällt das Ende der neuen Viertagesfrist auf einen Samstag, Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag, verschiebt sich der Fristablauf nach § 108 Abs. 3 AO so wie bei der bisherigen Dreitagesfrist auf den Ablauf des nächsten Werktages.

Wichtig ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe beispielsweise für den Beginn der Einspruchsfrist. Hier regelt § 355 AO, dass der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe einzulegen ist.

Beispiel: Ein Steuerbescheid geht an einem Mittwoch (05.04.) zur Post. Der vierte Tag wäre ein Sonntag (09.04). Der Bescheid gilt gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO i. V. m. § 108 Abs. 3 AO erst am der nächsten Woche Montag (10.04.), als bekanntgegeben. Die Einspruchsfrist endet also mit Ablauf des 10.05.

Die Neuregelung ist auf alle Verwaltungsakte anzuwenden, die nach dem 31.12.2024 zur Post gegeben, elektronisch übermittelt oder elektronisch zum Abruf bereitgestellt werden. Sie gilt dagegen nicht für Verwaltungsakte, die förmlich zugestellt werden, etwa mit Zustellungsurkunde. In diesen Fällen sind die Verwaltungsakte mit ihrer tatsächlichen Zustellung bekanntgegeben.

Neues aus dem Finanzgericht
  Bildrechte: Nds. FG
Dr. Matthias Wuthenow unterstützt die Pressestelle

Seit Beginn des Jahres unterstützt Herr RiFG Dr. Matthias Wuthenow die Pressestelle des Niedersächsischen Finanzgerichts als weiterer Pressesprecher.

Herr Dr. Wuthenow studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Tübingen, Lausanne und Münster mit dem Schwerpunktbereich Steuerrecht. Im Anschluss war er promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Großkanzlei in München und am Institut für Steuerrecht der Universität Münster tätig. Sein Referendariat absolvierte Herr Dr. Wuthenow in Düsseldorf mit Stationen beim Finanzamt Düsseldorf-Nord und am Finanzgericht in Münster.

Nach Tätigkeit als Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei trat Herr Dr. Wuthenow im Jahr 2016 in die ordentliche Gerichtsbarkeit der niedersächsischen Justiz ein, wo er nach Stationen bei der Staatsanwaltschaft Hannover, beim Amtsgericht in Nienburg und bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle zunächst als Staatsanwalt in Hannover schwerpunktmäßig Tötungsdelikte bearbeitete, ehe er als persönlicher Referent der Ministerin und danach als Leiter des Ministerbüros im Niedersächsischen Justizministerium tätig war.

Am Niedersächsischen Finanzgericht gehört er seit Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 2022 dem 5. Senat an, der im besonderen Arbeitsgebiet für Umsatzsteuersachen zuständig ist.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
16.01.2025

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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