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Newsletter 1/2024 vom 17. Januar 2024

Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts

Az. 4 K 36/22 – Urteil vom 31. August 2023

Keine Verteilung von Entschädigungsleistungen wegen der Verlegung einer Erdgasleitung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG

1. § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasst nur Einnahmen die auf einer Nutzungsüberlassung beruhen, nicht aber Entschädigungsleistungen für eine Wertminderung eines Grundstücks.
2. Voraussetzung für die Verteilung der Einnahme nach § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG ist, dass der Vorauszahlungszeitraum anhand objektiver Umstände – und sei es auch im Wege sachgerechter Schätzung – feststellbar (bestimmbar) ist und einen Nutzungsüberlassungszeitraum von mehr als fünf Jahren entgilt.

rechtskräftig
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Az. 9 K 87/19 – Urteil vom 14. Dezember 2022
Maßgeblicher Zeitpunkt der Entstehung eines Verlustes aus der Auflösung einer ausländischen Kapitalgesellschaft im Sinne des § 17 Abs. 4 EStG – keine Verpflichtung des Gerichts zur Vertagung wegen Verhinderung eines ausländischen Zeugen

1. Für die Beurteilung, ob bereits vor abgeschlossener Liquidation einer Kapitalgesellschaft ein Auflösungsverlust im Sinne des § 17 Abs. 4 EStG entstanden ist, ist unbeachtlich, ob die Gesellschaft bei Konkurseröffnung überschuldet oder zahlungsunfähig war. Entscheidend ist, ob die Konkursschuldnerin aktivierungsfähige Wirtschaftsgüter hatte.
2. Es besteht keine Verpflichtung des Gerichts zur Vertagung, wenn die Verhinderung des durch den Kläger zu stellenden ausländischen Zeugen nicht hinreichend und überprüfbar entschuldigt wird und keine Angaben gemacht werden, wann damit zu rechnen ist, dass der Zeuge für eine Aussage zur Verfügung steht.

rechtskräftig

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Az. 9 K 311/21 – Urteil vom 15. November 2023
Betreiben von Handelsschiffen im internationalen Verkehr im Rahmen der gewerbesteuerrechtlichen Kürzung (§ 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG) setzt bei eingecharterten Schiffen Verfügungsmacht über das jeweilige Schiff voraus

1. Trotz des weitgehend identischen Wortlauts ist der Vorschrift des § 9 Nr. 3 Satz 4 GewStG eine (von der Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 1 EStG losgelöste) eigenständige, d.h. normspezifische Definition des „Betreibens von Handelsschiffen im internationalen Verkehr“ zu entnehmen.
2. Mit der § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG zugrunde liegenden Betriebsstättenfiktion wird nicht nur eine Zuordnung, sondern auch die Betriebsstätte selbst als Zuordnungspol fingiert. Die Vorschrift beinhaltet dabei keinen vollumfänglichen Verzicht auf die (übrigen) betriebsstättenbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 12 AO, sondern gestattet lediglich, auf die von § 12 AO ansonsten vorausgesetzte feste Beziehung zur Erdoberfläche zu verzichten (vgl. BFH, Urteil vom 22. Dezember 2015 I R 40/15, BFHE 253, 174, BStBl II 2016, 537).
3. Eine derartige betriebsstättenbasierte (enge) Auslegung der Kürzungsvorschriften des § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG erscheint auch vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Beihilfeverbots des Art. 107 Abs. 1 AEUV geboten.
4. Hat der Charterer über ein eingechartertes Schiff keine Verfügungsmacht, so betreibt er mangels eigenen Einsatzes dieses Schiffes auch kein Handelsschiff im internationalen Verkehr im Sinne des § 9 Nr. 3 Satz 4 GewStG. Der örtliche Bezugspunkt für die sich in der Verfügungsmacht niederschlagenden „Verwurzelung“ der konkreten unternehmerischen Tätigkeit ist in diesen Fällen das Handelsschiff selbst.
5. Mangels Anhaltspunkten für ein zivilrechtsakzessorisches Verständnis von § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG hat das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 20. April 2013 (BGBl I 2013, 831) keine Auswirkungen auf die Anwendung der gewerbesteuerrechtlichen Kürzungsvorschriften.

Revision eingelegt; BFH-AZ: IV R 30/23

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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie über das Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) abrufen.

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Gut zu wissen

Folgen einer mangelhaften Kassenführung – Schätzungen durch das Finanzamt

Landet ein Fall nach einer Betriebsprüfung beim Finanzgericht, geht es dabei häufig um sog. bargeldintensive Betriebe. Das sind Betriebe, die den überwiegenden Teil ihrer Einnahmen bar vereinnahmen.

Diese Betriebe stehen im besonderen Fokus der Finanzverwaltung. Bereits 1966 hat sich der Bundesfinanzhof (BFH, Urteil vom 12. Mai 1966 IV 472/60, BFHE 86, 118) mit der Frage beschäftigt, welche Aufzeichnungen ein Kaufmann für eine ordnungsgemäße Kassenführung führen muss und was die Finanzverwaltung nicht verlangen kann. Mit der Zeit sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Verpflichtungen für Gewerbetreibende deutlich verschärft worden. Wer eine Registrierkasse nutzen möchte, hat dabei zahlreiche Aspekte zu beachten und eine Vielzahl von Unterlagen aufzubewahren. Auch das Führen einer sog. offenen Ladenkasse – auch als Schubladenkasse bekannt – ist mit erheblichen formellen Voraussetzungen belegt. Eine Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorgaben kann im schlimmsten Fall zu empfindlichen Nachzahlungen führen, denn eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung kann eine sog. Schätzungsbefugnis des Finanzamtes auslösen.

Mit einem Urteil aus dem Jahr 2015 (BFH-Urteil vom 23. März 2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743) hat der BFH einige Grundsätze für ordnungsmäßige Schätzungen aufgestellt. Erforderlich ist danach eine dreistufige Prüfung. Zunächst muss es dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts geben, dann muss eine geeignete Schätzungsmethode gewählt werden und schließlich muss das Schätzungsergebnis plausibel sein.

Das Finanzamt kann nicht nach Gutdünken schätzen, denn nach § 158 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sind Buchführung und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen grundsätzlich der Besteuerung zugrunde zu legen. Dies gilt allerdings nicht, wenn hier Fehler vorliegen. Danach wird das Finanzamt daher zuerst suchen. Eine ordnungsgemäße Begründung der Schätzungsbefugnis setzt die Benennung der verletzten Rechtsnorm, die Angabe der Tatsachen, aus denen die Verletzung der Rechtsnorm folgt und die Gewichtung des Buchführungsmangels unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles voraus. Bei der Überprüfung, ob die Buchführung fehlerhaft ist, wird zwischen materiellen (z.B. wenn Buchungen fehlen) und formellen Mängeln unterschieden.

Häufiger als die Schätzungsbefugnis gibt die Höhe der Schätzung Anlass zur Klage, wobei der Streit meist schon bei der Wahl einer geeigneten Schätzungsmethode anfängt. Dabei muss aber festgehalten werden, dass eine Schätzung nicht den tatsächlichen Sachverhalt abbilden wird und auch nicht abbilden kann – sonst wäre es ja keine Schätzung. Das Wesen der Schätzung besteht in Wahrscheinlichkeitsüberlegungen. Ziel soll es dabei sein, anhand der vorhandenen Anhaltspunkte den Sachverhalt so zu ermitteln, dass die gefundenen Besteuerungsgrundlagen die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Daher sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO).

Das Finanzamt kann sich verschiedener Möglichkeiten bedienen, um die Hinzuschätzung zu ermitteln. Eine Methode zur Überprüfung der Vollständigkeit der Einnahmen ist die Erlösnachkalkulation. Diese Art der Hinzuschätzung wird häufig bei Gastronomiebetrieben, aber auch im Dienstleistungsgewerbe (z.B. Handwerksbetriebe und Taxiunternehmen) angewendet. Der BFH hat sich schon mehrfach dazu geäußert, wie eine ordnungsgemäße Erlösnachkalkulation beschaffen sein muss. Bei einer sog. Ausbeutekalkulation in einem Gastronomiebetrieb erfasst der Prüfer z.B. den gesamten Wareneinkauf eines Kalenderjahres und ermittelt unter Berücksichtigung der Speise- und Getränkekarte einen möglichen Verkaufserlös – den sog. kalkulatorischen Umsatz (vgl. BFH-Urteil vom 17. November 1981 (VIII R 174/77, BStBl. 1982 II S. 430).

Für ein möglichst genaues Ergebnis ist der Prüfer dabei auf die Mitwirkung des Betriebsinhabers oder der Betriebsinhaberin angewiesen, die in der Regel am besten über Betriebsabläufe, Rezepturen und betriebsspezifische Besonderheiten Auskunft geben können. Sie sind gemäß § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei der Feststellung der Sachverhalte verpflichtet.

Wird gegen die Mitwirkungspflichten verstoßen, so mindert sich die Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörde. Daraus folgt, dass das Finanzamt bei einer fehlenden Mitwirkung auf Erfahrungswerte aus vergleichbaren Betrieben zurückgreifen kann. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass daraus erhebliche Abweichungen zu dem tatsächlichen Sachverhalt resultieren können, da es sich um statistische Durchschnittwerte handelt. Hierzu können u.a. die Höhe des Eigenverbrauchs, Angaben über die Höhe von Schwund (z.B. Schankverluste, Parierverluste), Verderb, Diebstahl von Waren oder aber die Höhe der Abgabe von Waren an das Personal und an Familienangehörige gehören. Bei diesen Beispielen handelt es sich um Waren, die nicht in den Verkauf gelangt sind und die daher auch im Rahmen einer Ausbeutekalkulation unberücksichtigt zu bleiben haben.

In diesem Zusammenhang kann nicht genug betont werden, dass entsprechende Aufzeichnungen bereits in den geprüften Jahren zu führen sind, denn Einwendungen, mit denen „unübliche“ Abschläge geltend gemacht werden, sind durch geeignete Einzelaufzeichnungen glaubhaft zu machen. Eine nachträgliche Erstellung solcher Aufzeichnungen, die im Finanzgerichtsverfahren teilweise 10 Jahre später vorgelegt werden, sind i.d.R. weniger glaubhaft als solche die zeitnah im Betrieb geführt werden und bei Beginn der Betriebsprüfung dem Prüfer übergeben werden.

Auch die Kalkulation nach Anteilen ist eine bedeutsame Kalkulationsmethode zur Ermittlung einer möglichst wirklichkeitsnahen Hinzuschätzung, die angesichts zunehmend zur Verfügung stehender Kasseneinzeldaten immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese Kalkulationsmethode – sie ist auch als 30/70 Methode bekannt – stellt eine Variante der Ausbeutekalkulation dar, bei der nur die Getränke auskalkuliert werden. Ansonsten wird auf die betriebsinternen Daten aufgebaut. Der Gedanke hierbei ist, dass das Verhältnis zwischen verzehrten Speisen und Getränken nur geringen Schwankungen unterliegt, da die Gäste typischerweise im Durchschnitt zu jeder Speise eine bestimmte Menge an Getränken zu sich nehmen. Dies rechtfertigt es, aus der Höhe der kalkulierten Getränkeumsätze auf die Höhe der Speiseumsätze zu schließen, ohne dass diese gesondert anhand des Wareneinkaufs kalkuliert werden. Das Verhältnis der Getränke zu den Speisen und die Verhältnisse der verkauften Getränke wird dabei den Kasseneinzeldaten entnommen.

Schlussendlich ist noch die Geldverkehrsrechnung als bekannte Schätzungsmethode zu nennen. Diese Art der Verprobung, von der es zahlreiche Varianten gibt (z.B. Gesamtgeldverkehrsrechnung, private Geldverkehrsrechnung, Bargeldverkehrsrechnung), basiert auf dem Grundgedanken, dass ein Steuerpflichtiger nicht mehr Geld ausgeben kann, als er eingenommen hat. Die Besonderheit bei dieser Methode ist, dass auch der private Bereich des Betriebsinhabers oder der Betriebsinhaberin durch das Finanzamt betrachtet wird. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Finanzamt zur Erstellung der Geldverkehrsrechnung damit auch auf private Unterlagen und private Bankauszüge zugreifen, wenn es für eine Aufklärung des Sachverhalts notwendig ist. Das Landesamt für Steuern bietet auf seiner Homepage zahlreiche Merkblätter und Informationsmaterialien zu den gesetzlichen Anforderungen bei einer Kassenführung an, die über folgenden Link abrufbar sind:

https://lstn.niedersachsen.de/steuer/steuermerkblaetter_und_broschueren/steuermerkblaetter-broschueren-67732.html

(Gerichtsprüferin GR'in Sandra Palm)

Neues aus dem
Niedersächsischen
Finanzgericht

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Mike Willam neuer Richter beim Niedersächsischen Finanzgericht

Zum 1. Januar 2024 hat mit Mike Willam ein neuer Proberichter seinen Dienst beim Niedersächsischen Finanzgericht angetreten.

Herr Willam studierte Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Sein Referendariat absolvierte er im Bereich des Oberlandesgerichts Celle u.a. mit Stationen im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport und einer mittelständischen Steuerrechtskanzlei in Hannover. Nach Abschluss des Zweiten juristischen Staatsexamens war Herr Willam als Rechtsanwalt für eine international tätige Großkanzleien in Frankfurt am Main im Bereich Steuerrecht tätig und dort schwerpunktmäßig mit dem internationalen Steuerrecht sowie Steuerstreitverfahren befasst.

Am Niedersächsischen Finanzgericht gehört er dem für allgemeine Ertragsteuern zuständigen 8. Senat an.

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Besuch des VFS Hannover im Niedersächsischen Finanzgericht
Am 11. Januar 2024 waren Studierende der Rechtswissenschaften aus der Leibniz Universität Hannover zu Gast im Niedersächsischen Finanzgericht. Organisiert hatte den Besuch der VFS Hannover - Verein zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover eV. Trotz Lokführerstreiks und eisigen Wetters kamen 25 Studentinnen und Studenten in das Fachgerichtszentrum, um sich ein Bild von der Arbeit des Gerichts und die Wege zu machen, die die anwesenden Finanzrichterinnen und Richter - ebenfalls sämtlich Mitglieder des VFS Hannover, in den Justizdienst geführt haben. Im Anschluss an den Besuch im Gericht ging es in eine Gaststätte, in der die Richterinnen und Richter den Studierenden für die Beantwortung ihrer weitergehende Fragen zur Verfügung standen.


Der VFS Hannover ist ein von steuerrechtlichen Berufs- und Amtsträgern sowie Studierenden an der Leibniz Universität Hannover gegründeter Verein, der sich darum bemüht, hannoversche Jurastudierende durch Einblicke in die Praxis, aber auch Studienfahrten und Vortragsveranstaltungen für das Steuerrecht zu interessieren und an der hiesigen Universität das steuerrechtliche Lehrangebot auszubauen.

Artikel-Informationen

erstellt am:
17.01.2024
zuletzt aktualisiert am:
22.01.2024

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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