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Newsletter 1/2022 vom 19. Januar 2022

Rechtsprechung des
Niedersächsischen
Finanzgerichts


Ausländische Betriebsstätten einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft keine Arbeitgeber i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA

Mit Urteilen vom 16.12.2021 (11 K 14196/20, 11 K 14197/20 und 11 K 14198/20) hat der 11. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts zu der Frage Stellung genommen, ob ausländische Betriebsstätten einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft als Arbeitgeber i.S. des Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-Musterabkommens (OECD-MA) anzusehen sind.

Die in Deutschland ansässige Klägerin wird in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben und ist über Zweigniederlassungen weltweit tätig. Die in den Auslandsniederlassungen tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hatten ihren Wohnsitz jeweils im Beschäftigungsstaat. In unregelmäßigen zeitlichen Abständen kamen sie für kurzfristige Dienstreisen z. B. zu Schulungen oder Projektarbeiten zum Stammhaus nach Deutschland. Diese Inlandsdienstreisen nahmen sie im Interesse der jeweiligen Auslandszweigniederlassung vor, die neben der kompletten Tätigkeitsvergütung auch die anfallenden Reisekosten trug. Die gesamten mit der Tätigkeit dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbundenen Kosten erfasste die jeweilige Auslandsniederlassung in ihrer Buchführung. Das deutsche Stammhaus erstattete diese Kosten weder ganz noch teilweise.

Das beklagte Finanzamt nahm bei der Klägerin als inländischer Arbeitgeberin gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG einen Lohnsteuerabzug von dem auf die Inlandsdienstreisen entfallenden Arbeitslohn der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihrer ausländischen Betriebsstätten vor.

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Nach Überzeugung des 11. Senats steht das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn, der auf die Inlandstage der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entfällt, dem Tätigkeitsstaat Deutschland zu. Zur Überzeugung des Finanzgerichts ist die Klägerin – und nicht die jeweilige Zweigniederlassung (Betriebsstätte) – als Arbeitgeberin i.S. des Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA anzusehen. Der Wortlaut des Art. 15 Abs. 2 Buchst. c) unterscheide ausdrücklich zwischen den Begriffen Betriebsstätte und Arbeitgeber. Der Regelungsbereich des Buchst. c) wäre ausgehöhlt, wenn die Betriebsstätte unter den Arbeitgeber-Begriff des Buchst. b) zu fassen wäre. Überdies verknüpfe der Wortlaut des Buchst. b) den Arbeitgeber-Begriff und die Ansässigkeit miteinander. Daraus folge, dass ein Arbeitgeber ansässig sein könne. Wie der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 29.01.1986, I R 109/85, bereits zutreffend ausgeführt habe, könne eine Betriebsstätte nicht in einem Vertragsstaat ansässig sein.

Zudem handele es sich im Streitfall um unselbständige Zweigniederlassungen, die zivilrechtlich nicht rechtsfähig seien. Auch vor diesem Hintergrund könnten sie zivilrechtlich nicht Vertragspartner und damit Arbeitgeber sein. Der von der Rechtsprechung entwickelte wirtschaftliche Arbeitgeber-Begriff stelle auf eine „rechtlich selbständige Person“ ab. Nach Art. 5 OECD-MA bleibe die Betriebsstätte als solche aber unselbständig und werde allein zum Zwecke der Gewinnzuordnung nach Art. 7 OECD-MA fiktiv verselbständigt.

Darüber hinaus konnte der erkennende Senat im Streitfall keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, die Niederlassungsfreiheit sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit feststellen.

Der Senat hat die Revision zugelassen.

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Weitere Entscheidungen des

Niedersächsischen
Finanzgerichts


Az. 9 K 16/20 – Urteil vom 16.06.2021
Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG; Ermittlung des Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 3 EStG

1. Das Bestehen einer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht reicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 EStG nicht für die Annahme einer "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG aus.

2. Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" liegt nicht vor, wenn der Steuerpflichtige die Angehörigen, für die er keinen Anspruch auf Kindergeld (mehr) besitzt, unentgeltlich überlassene Wohnung gleichzeitig auch einem einkommensteuerlich gemäß § 32 EStG zu berücksichtigendem Kind unentgeltlich zu Wohnzwecken zur Verfügung stellt.

3. Eine Aufteilung des Kaufpreises in einen steuerfreien und einen steuerpflichtigen Teil ist nicht vorzunehmen.

Rechtsmittel eingelegt

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Az. 10 K 10124/18 – Urteil vom 09.12.2021
Gewerbesteuerhinzurechnung für Adresskäufe

Aufwendungen für die Überlassung von Adressdaten unterliegen grundsätzlich nicht der Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 f GewStG.

Revision zugelassen

Az. 11 K 252/20 – Urteil vom 25.03.2021
Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Leistungen der Eingliederungshilfe

Leistungen eines Unternehmers als Heilerziehungspfleger im Rahmen der Eingliederungshilfe sind weder nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG noch unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerbefreit, wenn die Betreuten sie aus ihrem Persönlichen Budget bezahlen.

rechtskräftig
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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie auf dem abrufen.

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Gut zu wissen

Der gesetzliche Richter - Oder: Wer ist eigentlich im Finanzgericht zuständig? Und warum?

Das Grundgesetz garantiert (in seinem Artikel 101 Abs. 1 Satz 2) einen „gesetzlichen Richter“.

Dieser gesetzliche Richter muss in abstrakter Form und daher ohne Rücksicht auf die Personen der am Klageverfahren Beteiligten bestimmt sein. Damit sollen Eingriffe Unbefugter in die Rechtspflege verhindert und das Vertrauen der Rechtssuchenden und auch der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte geschützt werden.

Doch welche Regelungen bestimmen beim Finanzgericht die für ein Klage- oder Antragsverfahren zuständigen Richterinnen und Richter?

Zunächst regelt die Finanzgerichtsordnung (in § 33) wann der Rechtsweg zum Finanzgericht eröffnet ist (und nicht etwa zum allgemeinen Verwaltungsgericht oder zum Zivilgericht).

Das ist der Fall in "öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden“, also etwa bei Differenzen über Einkommen-, Gewerbesteuermess- oder Umsatzsteuerbescheide, die das Finanzamt erlassen hat.

In § 35 der Finanzgerichtsordnung wird dann das Finanzgericht als Gericht des ersten Rechtszuges für diese Streitigkeiten bestimmt. Bei diesem ist also die Klage gegen die genannten Bescheide zu erheben. (Anders als in den anderen Gerichtsbarkeiten gibt es in der Finanzgerichtsbarkeit insgesamt nur zwei Instanzen. Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts kann nur noch der Bundesfinanzhof in München mit einer Revision oder einer Nichtzulassungsbeschwerde angerufen werden).

Die Anzahl der Finanzgerichte kann durch die jeweiligen Bundesländern mit Landesgesetzen bestimmt werden. Während etwa in Nordrhein-Westfalen und in Bayern mehrere Finanzgerichte existieren, deren jeweilige örtliche Zuständigkeit ebenfalls durch das Landesgesetz geregelt werden muss, hat Niedersachsen nur eines, nämlich das "Niedersächsische Finanzgericht“ mit Sitz in Hannover. Das ergibt sich aus § 88 Abs. 1 des Niedersächsischen Justizgesetzes.

Innerhalb der Finanzgerichte gibt es Senate. Deren Anzahl, ihre Besetzung und ihre Zuständigkeit werden aufgrund eines Geschäftsverteilungsplanes des Gerichts bestimmt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 4 der Finanzgerichtsordnung, der auf den Zweiten Teil des Gerichtsverfassungsgesetzes verweist. Der Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts wird danach regelmäßig vor Beginn des neuen Jahres von dem Präsidium des Finanzgerichts beschlossen, das sich in Niedersachsen aus der Präsidentin des Finanzgerichts und aus acht durch die Richterschaft gewählten Richterinnen und Richtern zusammensetzt. Am Niedersächsischen Finanzgericht gibt es 15. Senate, deren Zuständigkeit (allgemein) nach den verschiedenen Finanzämtern aufgeteilt ist. Darüber hinaus gibt es Zuständigkeiten einzelner Senate für besondere Arbeitsgebiete, etwa die Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer oder Grunderwerbsteuer.

Die Senate wiederum setzen sich regelmäßig aus drei Berufsrichtern zusammen. Es muss daher auch geregelt werden, welcher dieser drei Richter als Berichterstatter für ein Klage- oder Antragsverfahren zuständig ist, das nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts einem Senat zugewiesen wird. Der Berichterstatter bereitet das Verfahren für die Entscheidung durch den Senat vor und kann - im Einvernehmen der Beteiligten oder bei Übertragung durch den Senat - als Einzelrichter alleine über die Sache entscheiden. Er ist außerdem der Ansprechpartner für die Beteiligten bei Fragen rund um das Verfahren. Die Zuständigkeit des Berichterstatters und seine evtl. Vertretung werden durch einen Geschäftsverteilungsplan des Senates bestimmt, den die drei Berufsrichter vor Beginn des neuen Jahres beschließen.

An Entscheidungen des Senats über ein Klageverfahren wirken außerdem zwei ehrenamtliche Richter mit. Sie haben dabei die gleichen Rechte, insbesondere Stimmrechte, wie die Berufsrichter. Auch deren Zuständigkeit muss daher abstrakt geregelt werden. Hierfür bestimmt das Präsidium des Finanzgerichts (nach § 27 der Finanzgerichtsordnung) vor Beginn des Jahres durch Aufstellung von Listen für jeden Senat die Reihenfolge, in der die ehrenamtlichen Richter heranzuziehen sind. Für den Fall unvorhergesehener Verhinderungen wird außerdem eine Hilfsliste ehrenamtlicher Richter aufgestellt, die in der Nähe des Finanzgerichts wohnen und kurzfristig einspringen können.

Durch diese Vielzahl von Regelungen wird sichergestellt, dass die grundgesetzliche Garantie des gesetzlichen Richters gewährleistet ist.

Neues aus dem
Niedersächsischen
Finanzgericht

Aktuelle Informationen zum Umgang mit dem Corona-Virus

Bitte beachten Sie, dass bis auf Weiteres beim Betreten des Fachgerichtszentrums eine medizinische Maske der Standards KN95/N95 oder FFP2 zu tragen ist. Darüber hinaus ist der 3G-Status nachzuweisen. Weitere Informationen zum Umgang mit dem neuartigen Corona-Virus finden Sie auf der Website des Niedersächsischen Finanzgerichts.

Drei Jugendliche lächeln. Geimpft sind wir stärker!   Bildrechte: ms

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.01.2022

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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