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Newsletter 6/2022 vom 18. Mai 2022

Rechtsprechung des
Niedersächsischen
Finanzgerichts

Vorsteuerberichtigungsanspruch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Mit Urteil vom 19.08.2021 (11 K 133/20) hat der 11. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts u.a. zu der Frage Stellung genommen, ob Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG im Rahmen der Masseverwaltung entstanden sind und damit die gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeit festzusetzende Umsatzsteuerjahresschuld erhöht haben.

Der Kläger wurde jeweils zum Insolvenzverwalter der X-GmbH, ihrer Holding- sowie ihrer Schwestergesellschaft G bestellt. In der Zeit vor Insolvenzeröffnung bezog die GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigende Eingangsleistungen. Den Vorsteuerabzug nahm sie in den entsprechenden Veranlagungszeiträumen vor Insolvenzeröffnung in Anspruch. Die entsprechenden Eingangsrechnungen waren jeweils an sie als Leistungsempfängerin adressiert. Sie wurden jedoch u.a. von der mittlerweile ebenfalls insolventen Holdinggesellschaft sowie ihrer Schwestergesellschaft G bezahlt. Im Rahmen der Insolvenzverfahren dieser beiden Gesellschaften forderte der Kläger als deren Insolvenzverwalter die an die leistenden Unternehmer gezahlten Beträge im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO als sog. unentgeltliche Leistung zurück. Die leistenden Unternehmer zahlten die entsprechenden Beträge im Jahr 2015 an die Insolvenzmasse der jeweils ursprünglich die Zahlung veranlassten Holdinggesellschaft bzw. der G zurück. Mit der Rückzahlung lebte der Anspruch auf Zahlung des leistenden Unternehmers gegen die GmbH nach § 144 Abs. 1 InsO wieder auf und konnte von ihm zur Insolvenztabelle der GmbH angemeldet werden.

Das beklagte Finanzamt erließ für das Jahr 2015 unter der vor Insolvenzeröffnung geltenden Umsatzsteuernummer der GmbH eine Steuerberechnung, welche als Grundlage für eine Anmeldung der Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle dienen sollte. Darin forderte es die an die GmbH gezahlte Vorsteuer aufgrund der Rückzahlungen der leistenden Unternehmer zurück. Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle erfolgte nicht. Einige Monate später teilte das beklagte Finanzamt dem Kläger die sofortige Aufhebung der Steuerberechnung mit. Gleichzeitig erließ es für das Streitjahr nach § 164 Abs. 2 AO unter der Massesteuernummer einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid.

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Nach Überzeugung des 11. Senats durfte das beklagte Finanzamt die zunächst ergangene Steuerberechnung aufheben und mangels entgegenstehender Bestandskraft den streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid erlassen. Eine Steuerberechnung stelle lediglich eine formlose Mitteilung an den Insolvenzverwalter dar. Überdies habe das beklagte Finanzamt den Vorsteuerabzug dem Grunde und der Höhe nach zutreffend im Streitjahr berichtigt. Die Vorsteuerberichtigung hänge im Streitfall nicht von einer Vereinnahmung des zurückgezahlten Entgelts des Klägers als Insolvenzverwalter der GmbH ab. Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG setze eine derartige Vereinnahmung nicht voraus. Auch der Sinn und Zweck und der im Umsatzsteuerrecht geltende Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer sprächen gegen das Erfordernis einer Vereinnahmung des Leistungsempfängers, der den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe. Die Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG seien bedingungslos und zeitgleich vorzunehmen. Zudem seien die Berichtigungsansprüche nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG im Rahmen der Masseverwaltung entstanden und hätten daher die gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeit festzusetzende Umsatzsteuerjahresschuld 2015 erhöht. Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO lägen bereits bei einem sonstigen Bezug zur Insolvenzmasse vor.

Der Kläger hat beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen V R 29/21 Revision eingelegt.

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Weitere Entscheidungen des
Niedersächsischen
Finanzgerichts


Az. 3 K 208/18 – Urteil vom 21.08.2020
Außenprüfung bei Einzelhandelsunternehmen

Keine Änderung nach § 173 AO, wenn nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit dargetan ist, dass Betriebseinnahmen nicht erklärt wurden.

Revision eingelegt – BFH-Az.: III R 14/22


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Az. 3 K 20/22 – Urteil vom 06.04.2022
Stellung eines Antrags nach § 32c EStG nur bis zur Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheides

Ein erstmaliger Antrag auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG kann nur bis zur Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheides für das letzte Jahr des Betrachtungszeitraums gestellt werden.

vorläufig nicht rechtskräftig

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Az. 12 K 226/20 – Urteil vom 20.07.2021

Zur Kindergeldgewährung für verheiratete Kinder mit Behinderung und zum Antrag eines Mitglieds einer Sozietät auf Terminsverlegung „in letzter Minute“

Bei der Ermittlung des verfügbaren Nettoeinkommens eines Kindes mit Behinderung ist der Kindergeldberechtigte für den Abzug einkommensmindernder Positionen feststellungs-belastet.

rechtskräftig

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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie auf dem Niedersächsischen Landesjustizportal abrufen.

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Gut zu wissen

Sprungklage - Ohne Einspruchsverfahren direkt zum Finanzgericht?

Gar nicht so selten kommt es vor, dass sich Steuerpflichtige gegen einen Steuerbescheid sofort mit einer - ausdrücklich als solcher bezeichneten - „Sprungklage“ an das Finanzgericht wenden.

Sie gehen davon aus, dass ein vorheriger Einspruch entbehrlich ist, weil das Finanzamt ohnehin nicht von seiner Auffassung abweicht und man durch den direkten Weg zum Gericht Zeit sparen kann.

Das ist jedoch ein Irrglaube. Eine Sprungklage ist jedoch nur ausnahmsweise und unter sehr engen Voraussetzungen zulässig.

Grundsätzlich setzt die Erhebung einer Klage beim Finanzgericht immer die ganz oder teilweise erfolglose Durchführung eines Einspruchsverfahrens als Vorverfahren voraus.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz enthält die Regelung des § 45 der Finanzgerichtsordnung. Danach ist die Klage zunächst nur dann als Sprungklage ohne ein solches Vorverfahren zulässig, wenn das zuständige Finanzamt dem zustimmt.

Das wird es aber regelmäßig nicht tun, denn in einem streitigen Fall hat das Finanzamt ein Interesse daran, den Vortrag des Steuerpflichtigen erst selbst noch einmal eingehend zu überprüfen und dessen Begehren ggf. abzuhelfen.

Würde das Finanzamt vorschnell einer Sprungklage zustimmen und erst im Klageverfahren abhelfen, müsste es u.U. die entstandenen Kosten tragen.

Eine Zustimmung des Finanzamts wird daher allenfalls in solchen Fällen in Betracht kommen, in denen das Finanzamt aufgrund einer bestimmten Weisungslage (etwa wegen einer Richtlinie oder wegen eines Schreibens des Bundesfinanzministeriums) nicht von seiner im Streit stehenden Rechtsauffassung abweichen kann und daher eine Abhilfe im Einspruchsverfahren ausgeschlossen ist.

Aber auch wenn das Finanzamt der Sprungklage zustimmt, heißt das nicht, dass sie auf jeden Fall zulässig ist. Denn auch das Gericht selbst hat hier noch ein Wort mit zu reden.

Das Gericht kann die Sprungklage, der das Finanzamt zugestimmt hat, nämlich spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Klagezustellung wieder an das Finanzamt zurückschicken, wenn es eine weitere umfangreiche Sachaufklärung für erforderlich hält und die Rücksendung des Falls "auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist“.

Nur dann, wenn 1) das Finanzamt zustimmt und 2) das Finanzgericht die Klage nicht an das Finanzamt zurückschickt, ist die Klage als Sprungklage ohne vorheriges Einspruchsverfahren zulässig.

Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen wird die Klage - ohne das Gerichtsgebühren anfallen - als Einspruch behandelt und durch das Finanzamt weiterbearbeitet. Sollte das Einspruchsverfahren sodann nicht erfolgreich sein, kann gegen die Einspruchsentscheidung die Klage erhoben werden.

Eine Sprungklage bietet sich also nur in geeigneten Fällen an, insbesondere dann, wenn ausschließlich eine Rechtsfrage streitig und wenn der Sachverhalt unstreitig ist,

Will man auch in diesen Fälle keine Zeit verlieren anstatt sie zu gewinnen, ist es empfehlenswert, sich vor der Erhebung einer Sprungklage auf jeden Fall mit dem Finanzamt abstimmen und zu klären, ob die erforderliche Zustimmung erteilt wird.

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Neues aus dem
Niedersächsischen
Finanzgericht

Schulpraktikum am Finanzgericht – gar nicht langweilig!

Mia Begovic, Schülerin der 11. Klasse an der IGS Kronsberg, hat während ihres zweiwöchigen Schulpraktikums die Welt der Justiz im Allgemeinen und der Finanzgerichtsbarkeit im Besonderen kennen gelernt. Nach der unumgänglichen Verschwiegenheitsverpflichtung und Belehrung über das Steuergeheimnis hat Mia u.a. in die Arbeitsbereiche der Justizwachtmeister, der Bibliothek, der Kostenbeamten, der Pressestelle und der Serviceeinheiten „hineingeschnuppert“ und als Schwerpunkt ihres Praktikums Einblicke in die richterliche Tätigkeit gewinnen können. Insbesondere die Teilnahme an verschiedenen mündlichen Verhandlungen inkl. der Senatsberatungen hat Mia besonders gefallen und ihr Interesse an einem juristischen Beruf geweckt. „Ich könnte mir vorstellen, später Jura zu studieren und werde mich auf jeden Fall weiter umschauen, ob ein Beruf in der Justiz etwas für mich ist.“, so Mia auf eine entsprechende Frage. Wenn Mia gerade nicht im Praktikum ist und die Schule ihr Zeit für ihre Hobbys lässt, schwimmt sie gerne bei der DLRG, liest oder macht Hundesport.

  Bildrechte: Nds FG
Schülerpraktikantin Mia Begovic
Zwei Fäuste berühren sich. Geimpft sind wir stärker!   Bildrechte: ms

Artikel-Informationen

erstellt am:
18.05.2022

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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