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Newsletter 6/2024 vom 16. Mai 2024

Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts

Pflicht zur Nutzung des beSt auch bei Klageerhebung über das beklagte Finanzamt

Az. 13 K 114/23 - Urteil vom 24.04.2024, Az. 13 K 115/23 - Urteil vom 24.04.2024

§ 47 Abs. 2 FGO dispensiert nicht von der Einhaltung der Formvorschriften aus §§ 52a, 52d FGO, so dass ein zur elektronischen Einreichung verpflichteter Steuerberater die Klage nicht fristwahrend in Schriftform gemäß § 64 Abs. 1 FGO beim Finanzamt anbringen kann.

§ 47 Abs. 2 FGO dispensiert nicht von der Einhaltung der Formvorschriften der §§ 52a, 52d FGO (Fortsetzung von FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 2019 – 2 K 212/18 –, juris; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2019 – 7 K 7019/19 –, juris; FG Münster, Urteil vom 26. April 2017 – 7 K 2792/14 E –, juris). Dies gilt nicht nur für in elektronischer Form angebrachte Klageschriften, sondern schließt für den zur elektronischen Einreichung verpflichteten Steuerberater auch die Anbringung in Schriftform gemäß § 64 Abs. 1 FGO aus.

Der Regelungsgehalt des § 47 Abs. 2 FGO beschränkt sich für Steuerberater damit auf die Einreichung über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) an das für diese Zwecke jedenfalls konkludent eröffnete besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des Finanzamtes.

Eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist wegen eines Irrtums über die Möglichkeit der schriftlichen Einreichung beim beklagten Finanzamt kommt nicht in Betracht. Es handelt sich nicht um eine nicht vorhersehbare Vorschärfung der Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften.

Der 13. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat sich in zwei Verfahren mit der Frage befasst, ob ein Steuerberater nach Einführung des besonderen Steuerberaterpostfaches (beSt) wirksam Klage durch Einwurf der Klageschrift in den Briefkasten des Finanzamtes erheben konnte.

In den Streitfällen wandte sich der Berater im Auftrag seiner Mandanten gegen Änderungsbescheide nach Durchführung einer Außenprüfung. Der Steuerberater erhob die Klage in Papierform, indem er diese am letzten Tag der Klagefrist in den Briefkasten des beklagten Finanzamtes einlegte. Das Finanzamt übermittelte die Klage sodann gemäß § 47 Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) - nach Fristablauf - an das Finanzgericht.

Nach Auffassung der Kläger habe der steuerliche Berater die Klagefrist nach § 47 Abs. 2 FGO gewahrt. Die Möglichkeit einer Klageeinreichung durch den Steuerberater in Papierform beim Finanzamt bestehe auch nach den kürzlich erfolgten Gesetzesänderungen fort, insbesondere suspendiere die Vorschrift des § 52d FGO unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Sondernorm des § 47 Abs. 2 FGO. Ferner sei dem anbringenden Steuerberater ein fristwahrendes Alternativverhalten mittels Übertragung eines elektronischen Dokuments unter Verwendung des beSt zum Zeitpunkt der Klageeinreichung nicht möglich gewesen, da diesem von der Bundesteuerberaterkammer noch kein beSt empfangsbereit zur Verfügung gestellt worden sei. Das beklagte Finanzamt vertrat demgegenüber die Rechtsauffassung, die Klage sei unzulässig, da für den steuerlichen Berater eine aktive Nutzungspflicht des beSt gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG bestanden habe

Der 13. Senat ist den Argumenten der Kläger nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden sei.

Dem liegt die Rechtsauffassung des Gerichts zugrunde, dass die Klage durch Einwurf in den Briefkasten des Finanzamts nicht fristwahrend erhoben werden konnte. Zwar gilt die Frist für die Erhebung der Klage gemäß § 47 Abs. 2 FGO auch dann als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, innerhalb der Frist angebracht wird. Der Steuerberater habe die Klage in Papierform jedoch nicht fristwahrend iSd. § 47 Abs. 2 FGO „anbringen“ können.

Denn auch für die fristwahrende Übermittlung an das Finanzamt nach § 47 Abs. 2 FGO sei die Einhaltung der geltenden Formvorschriften und damit stets die elektronische Form erforderlich. Unzutreffend sei die Auffassung der Kläger, das „Anbringen“ nach § 47 Abs. 2 FGO müsse nur wenn es elektronisch erfolge, den Anforderungen des § 52a FGO entsprechen und könne daneben weiterhin mittels eines eigenhändig unterschriebenen Dokuments, mithin in Schriftform, erfolgen. Richtigerweise dispensiere § 47 Abs. 2 FGO jedoch nicht von der nunmehr geltenden elektronischen Einreichungspflicht nach § 52d FGO. M.a.W.: Derjenige, den die elektronische Einreichungspflicht gegenüber dem Gericht gemäß § 52d FGO treffe, müsse die elektronische Übermittlung gemäß § 52a FGO auch bei Beschreiten des von § 47 Abs. 2 FGO eröffneten Weges über das Finanzamt wählen. Es seien keine Gründe dafür erkennbar, an eine beim Finanzamt eingereichte Klage geringere Formalanforderungen zu stellen. Vielmehr sprechen mehrerlei Gründe gegen einen Dispens.

So streite schon die systematische Stellung des § 47 Abs. 2 FGO recht deutlich dafür, dass ihm keine Regelung zur Form innewohnt. Denn § 47 FGO regelt lediglich die Klagefrist. Ferner wären die Bemühungen des Gesetzgebers, den elektronischen Rechtsverkehr zu stärken und für bestimmte Gruppen als verpflichtend zu erklären auch obsolet, wenn die Klage über den Weg der Anbringung gemäß § 47 Abs. 2 FGO weiterhin per Brief erhoben werden könnte. Und schließlich komme dem Sinn der Vorschrift des § 47 Abs. 2 FGO die entscheidende Bedeutung zu. Der Gesetzgeber habe für den von einem Verwaltungsakt betroffenen Bürger den Zugang zu den Finanzgerichten erleichtern wollen. Der Bürger habe die gesetzliche Klagefrist bis zum letzten Augenblick – ggf. auch durch einen Bevollmächtigten – dadurch nutzen können sollen, dass er die Zeit der Postbeförderung bis zu dem in der Regel auswärtigen Finanzgericht nicht habe beachten müssen und die Klage in den Briefkasten des regelmäßig näher gelegenen Finanzamts habe einwerfen können. Aus diesem Grund werde allenthalben auch hervorgehoben, dass das Finanzamt durch § 47 Abs. 2 FGO gleichsam zum Briefkasten des Finanzgerichts wird. In diesem Lichte erschiene es widersinnig, wenn der gegenüber dem Finanzgericht zur elektronischen Übermittlung verpflichtete Berufsträger wegen der erstrebten Erleichterung, den Postlauf nicht beachten zu müssen, von seiner Pflicht wieder befreit würde. Denn der verpflichtete Berufsträger sei aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden elektronischen Infrastruktur auf die Erleichterung gerade nicht angewiesen, weil er durch diese im Rahmen der Kommunikation mit dem Gericht von dem Postlauf nicht mehr abhängig sei.

Schließlich sei der Steuerberater im konkreten Fall auch zur Einreichung in der Form des § 52a FGO verpflichtet gewesen, da ihm nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ein sicherer Übermittlungsweg "zur Verfügung" gestanden habe, zu dessen Nutzung er nach § 52d Satz 2 FGO verpflichtet war.

Weitere Entscheidungen
des Niedersächsischen
Finanzgerichts

Az. 3 K 154/23 – Urteil vom 13.03.2024
Kein Austausch des Familienheims

Das Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG kann nicht durch ein vergleichbares ebenfalls zur Erbmasse gehörendes Objekt ersetzt werden.

rechtskräftig
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Az. 13 K 28/20 – Beschluss vom 05.06.2023
Zur Kostenentscheidung im Rahmen der Erinnerung gegen die Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen nach § 149 Abs. 2 FGO

Der unterliegende Beteiligte trägt die außergerichtlichen Kosten des Gegners auch dann, wenn er der Erinnerung nicht entgegengetreten ist (entgegen Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. April 2010 – 2 KO 271/10 –, juris).


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Die Volltexte der genannten Entscheidungen sowie weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab dem 1. Januar 2000 können Sie über das Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) abrufen.

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Gut zu wissen

Der Weg zum Urteil – wie kommt eigentlich die Entscheidung im Finanzgericht zustande?

Das Klageverfahren bei einem Finanzgericht beginnt mit der Erhebung der Klage und endet - wenn sich der klagende Steuerpflichtige und das beklagte Finanzamt nicht verständigen - regelmäßig durch ein Urteil des Senats. Aber wie kommt dieses Urteil zustande? Wer darf und muss entscheiden und welche Phasen durchläuft die Entscheidungsfindung?

Nach dem Eingang der Klageschrift im Finanzgericht wird diese dem zuständigen Richter als Berichterstatter zur Vorbereitung zugewiesen.. Regelmäßig werden in der Folge die Verwaltungsakten des Finanzamtes angefordert, es findet ein Austausch von Schriftsätzen zwischen den beiden Beteiligten statt und der Sachverhalt wird ggf. ergänzend weiter aufgeklärt bis der Fall "ausgeschrieben" ist. Auf dieser Grundlage erstellt der Berichterstatter ein Votum – also einen Entscheidungsvorschlag -, in dem er den von ihm (bis dahin) festgestellten Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung zusammenfasst.

Das Verfahren kann nun durch den Senatsvorsitzenden zur mündlichen Verhandlung geladen werden.

Vor der mündlichen Verhandlung findet eine Vorberatung der Berufsrichter des Senats statt, also des Berichterstatters, des Vorsitzenden und des dritten Berufsrichters. Alle Berufsrichter haben sich auf der Grundlage des Votums und ggf. ergänzend anhand der Streitakten in den Fall eingearbeitet. Die Berufsrichter besprechen den Sachverhalt und diskutieren das Votum des Berichterstatters. Regelmäßig ergibt sich auf dieser Grundlage eine vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslageuffassung, die den Beteiligten häufig telefonisch durch den Berichterstatter oder den Vorsitzenden mitgeteilt wird. U.U. besteht auch noch weitergehender Aufklärungsbedarf, der ebenfalls mit den Beteiligten besprochen wird.

In der mündlichen Verhandlung trägt der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten auf der Grundlage seines Votums vor. Dies dient zum einen dazu, dass die Beteiligten die Richtigkeit der Feststellungen überprüfen können, zum anderen werden aber die ehrenamtlichen Richter erstmals über den Streitfall ins Bild gesetzt, weil diese vor der mündlichen Verhandlung keine Aktenkenntnis haben. Hierauf folgt die Erörterung der Sach- und Rechtslage, bei der insbesondere die streitigen Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eingehend durch die Richter und die Beteiligten diskutiert werden. Dabei weist der Vorsitzende regelmäßig auch auf die Überlegungen der Berufsrichter in ihrer Vorberatung hin. U.U. werden die geladenen oder anwesenden Zeugen vernommen oder Sachverständige gehört, um noch streitigen Sachverhalt aufzuklären.

Kommt es in der mündlichen Verhandlung nicht zu einer einvernehmlichen Erledigung des Rechtsstreits durch die Beteiligten oder zu einer Rücknahme der Klage, erfolgt eine – nicht öffentliche - Beratung des Senats. Auf Grundlage der Vorbereitung und der Feststellungen in der mündlichen Verhandlung besprechen die Berufsrichter und die ehrenamtlichen Richter den Fall erneut. Zunächst fasst der Berichterstatter noch einmal den wesentlichen Sachverhalt und insbesondere die in der mündlichen Verhandlung gewonnenen, neuen Erkenntnisse zusammen, stellt seine rechtliche Würdigung dar und schlägt auf dieser Grundlage eine Entscheidung vor. Dabei muss er darauf bedacht sein, den ehrenamtlichen Richtern, bei denen es sich um steuerrechtliche Laien handelt, die häufig nicht einfache Rechtslage verständlich zu vermitteln.

Abschließend findet die Abstimmung im Senat statt, bei der die ehrenamtlichen Richter wie die Berufsrichter eine Stimme haben. Zunächst votiert der Berichterstatter, dann die ehrenamtlichen Richter, zuletzt der Vorsitzende. Die Entscheidung erfolgt nach der Mehrheit der Stimmen, ein „Unentschieden“ ist aufgrund der Anzahl der Richter (fünf) nicht möglich, Einstimmigkeit ist nicht erforderlich. Die so gefundene Entscheidung, also regelmäßig das Urteil, wird den Beteiligten anschließend verkündet oder zugestellt. Aufgrund des Beratungsgeheimnisses wird das Stimmverhalten der einzelnen Richter nicht bekannt gegeben.

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Neues aus dem Finanzgericht

  Bildrechte: Nds. FG
Katharina Scholz als Rechtsreferendarin im Niedersächsischen Finanzgericht

Rechtsreferendarinnen und -referendare haben in der Wahlstation die Möglichkeit, Einblicke in juristische Tätigkeiten zu bekommen, die in den anderen Stationen des juristischen Referendariats nicht vorgesehen sind. So kann die Wahlstation auch am Niedersächsischen Finanzgericht absolviert werden.

Dieser Möglichkeit ist Katharina Scholz im Rahmen ihres Referendariats nachgekommen und war für vier Monate in der Zeit von Februar bis Mai 2024 dem 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts zugeordnet. Dort hat sie - nach eigener Aussage - bei ihrem Ausbilder, dem Finanzrichter Ronny Vorbeck, einen tollen Eindruck von der Arbeit des Finanzgerichts erhalten: „Mir war es ganz besonders wichtig, einen realistischen Eindruck vom Arbeitsalltag eines Finanzrichters zu erhalten. Das hat hier wunderbar geklappt. Ich habe miterlebt, wie die elektronische Akte eingeführt worden ist und konnte auch selbst mit ihr arbeiten, habe die tägliche Dezernatsarbeit kennengelernt, Urteile und Richterbriefe geschrieben und auch an Senatsberatungen sowie -sitzungen teilgenommen. Mein persönliches Highlight war allerdings das Leiten eines Eröterungstermins. Dort konnte ich sowohl die Kläger als auch das beklagte Finanzamt von meiner Rechtsauffassung überzeugen, sodass sich beide im Termin einig geworden sind.“ Am Niedersächsischen Finanzgericht findet stationsbegleitend auch die Arbeitsgemeinschaft statt, im Rahmen derer in Vorbereitung für die mündliche Prüfung primär Aktenvorträge geübt werden. „Da wir so viele Aktenvorträge halten, sind wir recht routiniert und vertraut mit der Situation, was hoffentlich Sicherheit für die mündliche Prüfung gibt“, so Katharina Scholz, die abschließend hinzufügt: „Ich kann mir eine Tätigkeit als Richterin im Finanzgericht sehr gut vorstellen und möchte mich nicht nur bei meinem Ausbilder recht herzlich bedanken, sondern bei allen, die zu dieser Erfahrung beigetragen haben.“

Wer Interesse daran hat, wie Katharina Scholz seine Wahlstation im Niedersächsischen Finanzgericht zu absolvieren, kann sich gerne an RiFG Dr. Christian Gercke (0511/89750-508) wenden. Wir freuen uns, von Euch und Ihnen zu hören!

Artikel-Informationen

erstellt am:
16.05.2024
zuletzt aktualisiert am:
21.05.2024

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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