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Newsletter 4/2020 vom 7. Mai 2020

Umgang mit dem
Corona-Virus
im Niedersächsischen
Finanzgericht

Seit dem 4. Mai 2020 wird der Sitzungsbetrieb im Niedersächsischen Finanzgericht allmählich wiederaufgenommen.

Unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Bundes- und der Landesregierung wurden diverse Maßnahmen zur Minimierung der Infektionsrisiken beschlossen.

Diese sowie alle aktuellen Informationen im Zusammenhang mit dem Umgang des Niedersächsischen Finanzgerichts mit dem Corona-Virus finden Sie auf der Website des Finanzgerichts.

Rechtsprechung
des Niedersächsischen
Finanzgerichts


9 K 20/19 - Urteil vom 19. Februar 2020
Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf:
Anforderungen an das Merkmal der regelmäßigen, nicht unwesentlichen Betreuung

Der 9. Senat des Niedersächsischen FG hat mit Urteil vom 19. Februar 2020 (9 K 20/19) entschieden, dass ein Vater, der seinen bei seiner geschiedenen Ehefrau lebenden minderjährigen Sohn entsprechend dem vereinbarten Umgangsrecht nahezu an jedem zweiten Wochenende abholt und betreut, einen nicht unwesentlichen zeitlichen Betreuungsanteil i.S.v. § 32 Abs. 6 Satz 9 Alt. 2 EStG leistet und damit der Übertragung des ihm zustehenden Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrags) auf die Kindesmutter wirksam widersprechen kann. Das FG hat sich dabei insbesondere mit der Frage der Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze in zeitlicher Hinsicht auseinandergesetzt.

Im Streitfall hatte der Kläger (Kindesvater) mit seiner geschiedenen Ehefrau (Kindesmutter; Beigeladene) vor dem Familiengericht ein Umgangsrecht dergestalt vereinbart, dass er seinen Sohn in einem wöchentlichen Rhythmus jedes zweite Wochenende samstags um 10.00 Uhr abholt und sonntags um 16.00 Uhr zurückbringt. Die einfache Entfernung zwischen den Wohnorten betrug 163 km. Vergeblich begehrte der Kläger beim beklagten Finanzamt die Berücksichtigung des BEA-Freibetrags im Hinblick auf die von ihm erbrachten Betreuungsleistungen. Das Finanzamt war der Meinung, der vom Kläger geltend gemachte Betreuungsumfang (2016: 45 Tage; 2017: 55 Tage) sei nicht ausreichend.

Erst die Klage beim Niedersächsischen FG hatte Erfolg. Das FG folgte dabei den Grundsätzen der neuen BFH-Rechtsprechung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „nicht unwesentlichen“ Betreuung in § 32 Abs. 6 Satz 9 Alt. 2 EStG. Danach bestehen grundsätzlich aus Vereinfachungsgründen keine Bedenken, bei einem zeitlichen Betreuungsanteil von jährlich durchschnittlich 10% von einem ausreichenden Betreuungsumfang auszugehen (BFH, Urteil vom 8. November 2017 III R 2/16, BFHE 260, 103, BStBl. II 2018, 266).

Im Streitfall war zwischen den Beteiligten streitig, wie die 10%-Grenze in zeitlicher Hinsicht zu bestimmen ist und ob in diesem Zusammenhang auch Tage voll mitzählen, an denen das Kind nur einen Teil des Tages betreut wird.

Das FG hat diese Frage zugunsten des Klägers bejaht.

Einzelne Betreuungstage zählen danach zur Bestimmung eines wesentlichen Betreuungsumfangs auch dann mit, wenn die Betreuungszeit nicht volle 24 Stunden umfasst. Dies gelte jedenfalls für den Fall, dass – wie im Streitfall - die Betreuungszeit deutlich mehr als 12 Stunden beträgt und damit über reine Besuchszwecke deutlich hinausgehe. Alles andere würde zur Überzeugung des FG ggf. auf eine stundengenaue Protokollierung hinauslaufen und damit dem vom BFH mit der festgelegten Wesentlichkeitsgrenze von 10% verfolgten Vereinfachungszweck zuwiderlaufen.

Schließlich weist das FG darauf hin, dass im Streitfall selbst bei stundengenauer Abrechnung mit der Folge des Unterschreitens der Wesentlichkeitsschwelle im Streitfall gleichwohl von einem wesentlichen Betreuungsumfang auszugehen ist. Angesichts der großen Entfernung zwischen den Wohnorten des Klägers und der Beigeladenen, die einen höheren Betreuungsanteil wegen der Arbeitsverpflichtung unter der Woche erschwere und die Betreuungszeiten in der Regel auf die Wochenenden, Feiertagen und Urlaubszeiten beschränke, erscheine der Betreuungsanteil auch in diesem Fall als nicht unwesentlich.


9 K 104/19 - Urteil vom 19. Februar 2020
Private Pkw-Nutzung: Widerlegung des Anscheinsbeweises für die private Nutzung eines betrieblichen Pkw durch den einzigen Kommanditisten einer GmbH & Co KG

Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die auch zur Nutzung für private Zwecke zur Verfügung stehen, tatsächlich auch privat genutzt (sog. Beweis des ersten Anscheins). Nach gegenwärtiger Finanzgerichtsrechtsprechung kommt jedoch eine Erschütterung dieses Anscheinsbeweises dann in Betracht, wenn für Privatfahrten ein weiteres Fahrzeug zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung steht. Voraussetzung für eine solche Entkräftung ist jedoch, dass dieses Privatfahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar ist.

Aktuell hat sich der 9. Senat des Niedersächsischen FG – soweit ersichtlich als erstes Finanzgericht – im Urteil vom 19. Februar 2020 (9 K 104/19) intensiver mit der Frage auseinandergesetzt, welche Anforderungen an die Vergleichbarkeit in puncto Status und Gebrauchswert zu stellen sind.

Im zugrunde liegenden Streitfall nutzte der alleinige Kommanditist der Klägerin, eine GmbH & Co. KG, einen im Betriebsvermögen befindlichen, im Jahr vor dem Streitjahr neu angeschafften Pkw (Fiat Doblo Easy 2.0 16V Multijet; Kastenwagen) für betriebliche Zwecke, insbesondere für tägliche Fahrten zu den Betriebsstätten. Ein Fahrtenbuch wurde nicht geführt. Im Rahmen einer Außenprüfung rügte der Prüfer den fehlenden Ansatz eines Privatanteils nach der 1%-Regelung. Das Vorhandensein eines Mercedes Benz C 280 T (Baujahr 1997) im Privatvermögen des Kommanditisten erschüttere den für die Privatnutzung sprechenden Anscheinsbeweis nicht, da dieses Fahrzeug weder in Bezug auf den Gebrauchswert (kein variables Sitzkonzept, geringeres Kofferraumvolumen, veraltete Technik aufgrund des Alters, höhere Laufleistung, geringerer Sicherheitsstandard, größere Reparaturanfälligkeit) noch im Hinblick auf den Status vergleichbar sei. Der gegen den entsprechend geänderten Feststellungsbescheid gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Niedersächsische FG gab der Klage jedoch statt.

Nach Auffassung des FG ist unter dem Begriff „Gebrauchswert“ der Wert einer Sache hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit und ihrer Eignung für bestimmte Funktionen und Zwecke (Nutzwert) zu verstehen. In diesem Zusammenhang könnten Umstände wie Motorleistung, Hubraum, Höchstgeschwindigkeit und Ausstattung Berücksichtigung finden. Unter dem Aspekt des „Status“ eines Fahrzeugs seien dagegen vornehmlich Prestigegesichtspunkte zu berücksichtigen. Nach diesen Maßstäben kam das FG zu der Überzeugung, dass der im Privatvermögen befindliche Mercedes Benz C 280 T trotz des Alters, der weitaus höheren Laufleistung und des (veralteten) technischen Zustandes mit dem betrieblichen Fiat Doblo Easy 2.0 16V Multijet in Status und Gebrauchswert mindestens vergleichbar ist. Mangels feststellbarer Privatnutzung war für die steuerliche Erfassung eines Privatanteils danach kein Raum.

Die Problematik des Streitfalls dürfte über den Einzelfall hinaus von großer praktischer Bedeutung sein. Das beklagte Finanzamt hatte das FG in der mündlichen Verhandlung um eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Kriterien „Gebrauchswert“ und „Status“ im Urteil gebeten, da insoweit in der Praxis der Betriebsprüfungen eine große Unsicherheit hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben der Rechtsprechung zur Erschütterung des Anscheinsbeweises bestünde.

Weitere Entscheidungen des
Niedersächsischen Finanzgerichts

9 K 156/18 - Urteil vom 25. Februar 2020 und
9 K 157/18 - Urteil vom 25. Februar 2020
§ 66 Abs. 3 EStG stellt eine Regelung des Festsetzungsverfahrens dar

Die Regelung zur Nachzahlung im Kindergeldbescheid stellt einen Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 Abs. 2 AO dar. § 66 Abs. 3 EStG bildet keine Grundlage dafür, einem Kindergeldberechtigten die Zahlung bestandskräftig festgesetzter Kindergeldansprüche zu verweigern, wenn § 66 Abs. 3 EStG nicht bereits im Festsetzungsverfahren berücksichtigt worden ist.

Revision eingelegt – BFH-Az.: III R 20/20 und III R 21/20

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13 K 171/17 – Urteil vom 12. November 2019 (2. Rechtsgang)
Mehraktige Ausbildung im Kindergeldrecht

Arbeitet ein Kind nach Abschluss einer Ausbildung zum Bankkaufmann vollzeitig in einer Bank als Bankkaufmann und absolviert es daneben eine Ausbildung zum "Bankfachwirt Bankcolleg" an einer Genossenschaftsakademie der Volks- und Raiffeisenbanken, handelt es sich regelmäßig nicht mehr um eine mehraktige erstmalige Berufsausbildung.

rechtskräftig
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Die Volltexte der genannten Entscheidungen erhalten Sie auf der Seite der Rechtsprechung der Niedersächsischen Justiz. Dort können Sie unter "Suche" das jeweilige Aktenzeichen eingeben. Weitere Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts ab Entscheidungsdatum 1. Januar 2000 können Sie dort ebenfalls finden.

Artikel-Informationen

Ansprechpartner/in:
Frau Andrea-Alexandra Bartels

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